Predigt: Weite. Leere. Aber die Zukunft beginnt jetzt!

Diese Predigt hielt Pfarrer Dr. Stefan Heinemann anläßlich der Einführung des Hennefer Presbyteriums am 10. März 2024 zu 1. Mose 12,1-7

 

Weite. Leere bis zum Horizont. Unendlich viel Raum in der Steppe.
An der Linie zwischen Himmel und Erde flirrt schon die Luft.
Eine braungebrannte Hand nimmt er über die Augen: Weite. Leere.

Hinter ihm blöken die Schafe, meckern die Ziegen. Die Kamele werden unruhig. Die Knechte halten sie gerade so im Zaum.
„Wohin ziehen wir?“ fragte einer gestern abend.
„In Richtung der untergehenden Sonne“, hat er gesagt. Und das Brustbein rausgedrückt und einen Tonfall angeschlagen, der raushören ließ: Ich weiß, was ich tue. Tut er aber nicht!

Seiner Frau kann er das sagen. Abends vor dem Einschlafen: „Ich weiß nicht, was vor uns liegt. Ich habe eine Sehnsucht, eine Hoffnung. Ich habe eine Zusage. Aber ich weiß kaum, wo die nächste Wasserstelle ist. Für 40 Menschen, 80 Schafe, 60 Ziegen, 10 Kamele. In der Wüste.“
Gemeinsam haben Sarah und er entschieden, der Zusage zu vertrauen. Loszugehen. In eine ungewisse Zukunft.

 

So steht es im 1. Buch Mose, da im 12. Kapitel:

Und Gott, der Herr sagte zu Abraham: »Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde.

Ich werde dich zum Stammvater eines großen Volkes machen. Und ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.

Ich will segnen, die dich segnen. Wer dir aber Böses wünscht, den werde ich verfluchen. Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.«

 

So beginnt das zentrale Narrativ der Bibel, die Geschichte des Volkes Israel:
Die Welt ist erschaffen, die Sintflut versickert, der Turm zu Babel steht einsam und verlassen.

Für die nächsten 13 Kapitel liegt der Fokus auf diesen beiden: Abraham und Sarah.
Ihre Geschichte erzählt vom Mut aufzubrechen, ohne genau zu wissen, wohin es geht.
Sie sind die Erzeltern des Volkes Israel.

 

Liebe Presbyterinnen und Presbyter, Ihr seid Abraham! Ihr seid Sarah!
Wie Sarah und Abraham nehmt ihr Verantwortung auf Euch.
Wie Abraham und Sarah geht Ihr in dieser Verantwortung einer ungewissen Zukunft entgegen.
Wie Abraham und Sarah habt Ihr eine Sehnsucht. Und wie diese beiden habt Ihr den Segen.

 

Ihr seid Abraham! Ihr seid Sarah!

Wie sie geht ihr in die Verantwortung für eine Kirchengemeinde, die ungewöhnlich groß und komplex!
In der es schwer ist, den Überblick zu behalten.
Kein Haufen Kamele, sondern über ein Dutzend beruflich Mitarbeitende – die KiTa nicht mitgerechnet.
Die Zelte? Ein Dutzend Gebäude im mehr oder weniger guten Zustand?
Die Bilanzsumme: 7,8 Millionen.
Die Schafe? 7.000 Gemeindemitglieder, die ihren Hirten mal mehr, mal weniger gut im Blick haben?
Die Ziegen? Über 200 Ehrenamtliche?
Gruppen, Kreise, Knechte, Mägde, Arbeitsabläufe, MA-Runden, Dienstanweisungen, Benutzungsordnungen, … – es ist komplex!

Und es braucht Menschen, die diese Gemeinde leiten.
Die nach vorne gehen und mit Weitblick Entscheidungen für alle treffen.
Einmal tief durchatmen: Das seid jetzt gleich Ihr! Wie geht es Euch damit?

 

Du bist Abraham! Du bist Sarah!

In dieser Verantwortung für unsere Gemeinde geht Ihr einer ungewissen Zukunft entgegen.

Gestern auf dem Presbyteriumswochenende hatten wir über wichtige Themen der nächsten vier Jahre gesprochen: „Druckbetankung“ hatte ich das scherzhaft im Vorfeld genannt.
In einer guten Stunde vier Zukunftsthemen, die uns als Presbyterium beschäftigen werden

  • Da sind zunächst die Austritte und Finanzen: Im letzten Jahr hatten wir in unserer Gemeinde über 200 Austritte. Zugleich sind – vor allem deswegen – die Kirchensteuereinnahmen um 8% gesunken. Zum ersten Mal in Jahrzehnten. In diesem Jahr werden sie weiter sinken. Der Kipppunkt der Kirchenfinanzen ist erreicht. Zugleich steigen die Personalkosten.
  • Ganz unabhängig davon sehen wir landeskirchenweit einem Mangel an Pfarrpersonen entgegen. Schon in drei, vier Jahren werden wir auch in Hennef weniger Pfarrstellen oder jedenfalls weniger Arbeitskraft im Pfarramt zur Verfügung haben.
  • Und über unsere Gebäude haben wir gesprochen: Was ist da zu tun zwecks Klimaneutralität bis 2035? Wir werden noch mal überlegen müssen, welche Gebäude wir halten können und halten wollen!

Herr hilf, wo sind die Wasserlöcher? Wo ist das Ziel hinterm Horizont? Weite. Leere. Ungewissheit.
Seit Jahrzehnten war die evangelische Kirche nicht mehr so herausgefordert.
Wir stehen vor epochalen Umbrüchen kirchengeschicht­lichen Ausmaßes.
Zukunft ist weites Land und hüllt sich in Nebel.

 

Versuch einer Vision einer Skizze in groben Strichen: Hennef 2045
Wie wird diese Kirchengemeinde dann aussehen?
Eines kann ich Ihnen versprechen: Sie werden sie nicht wiedererkennen!

 

Nicht mehr 7.000 Gemeindemitglieder, sondern vielleicht 4.000.
Unter dann 60.000 Einwohnern Hennefs eine kleine Minderheit.
Zwei Pfarrpersonen vielleicht, die Uckerath und Ruppichteroth mitversorgen.
Gibt es die Stephanuskirche in Uckerath dann noch? Vielleicht.
Gibt es das Klecks als Gebäude noch? Unwahrscheinlich.
Nur noch einen Gottesdienst sonntags, nicht unbedingt vormittags – der aber immer gestreamt.
Für Zuschauer von Nürnberg bis Brüssel.
1 Mitarbeiterin im Gemeindebüro, eine Kraft für die Kinder- und Jugendarbeit, eine Transperson als Küster_in in Teilzeit, die Kirchenmusik leisten Vertretungs­kräfte.
Die Orgel? Aus Kostengründen eingemottet. Der E-Flügel leistet gute Dienste.
So oder so ähnlich könnte es sein.

 

Ist das alles nicht ganz furchtbar schrecklich? Nein, muss es nicht sein.
Eine Gemeinde mit 4.000 Gemeindemitgliedern kann vital sein und sehr lebendig.
Sie kann ausstrahlen: Sie kann attraktiv sein und einladend und anziehend.
Arm, aber sexy – das gilt manchmal auch für Kirchengemeinden.

Na klar, das ist dann nicht mehr wie vor 20, 40 Jahren: Reich und respektiert.
Ja und? So what? Wie gehen wir mit diesen Verlusterfahrungen um?
Dem Unterschied zwischen damals und heute?
Dem Unterschied zwischen heute und einer Zukunft, die wir nur in groben Zügen absehen können?
Welche innere Einstellung haben wir dazu?

Machen uns die Veränderungen, die unausweichlich sind, Angst?
Verkriechen wir uns davor in Furcht und Frustration?
Oder sind wir bereit, den Wandel zu gestalten und – ja, auszuhalten, was sich nicht verändern lässt?

 

Wie gehen wir der Zukunft entgegen? An dieser Frage hängt so viel.
Wenn die Veränderung als aufgezwungene Aufforderung erlebt wird, dann regiert Resignation:
Was können wir uns (noch) leisten? – ist dann die Leitfrage.
Und: Lasst uns so lange so viel vom Alten retten wie geht!
Das ist zutiefst menschlich – und ein Sterben auf Raten.

Oder sehen wir der Zukunft entgegen – mit Spannung in den Augen:
Da kann etwas wachsen! Etwas Neues! Etwas Schönes!

Gott ist ein Gott der Veränderung: Jakob und Ruth und Josef und Esra haben das erlebt.
Sie verlassen ihre vertrauten Lebensverhältnisse – und Gott geht mit.
Jesus von Nazareth ruft die Menschen aus ihrer vertrauten Umgebung heraus, um mit ihm ein anderes Leben zu wagen – in der Begleitung Gottes.

An dieser Frage hängt so viel – es ist eine Frage des Glaubens und Gottvertrauens,
den Mut zu haben aufzubrechen, ohne zu wissen, wohin es geht.
Aber die Zukunft beginnt jetzt. Und es macht einen großen Unterschied, wie wir ihr entgegen gehen.

Du bist Abraham? Du bist Sarah?

 

Du bist Abraham! Du bist Sarah!

Wie sie habt Ihr eine Sehnsucht. Sie alle haben so eine Sehnsucht:
Die Mitglieder des alten Presbyteriums, die neuen Presbyterinnen und Presbyter.
Sie, die Gemeindemitglieder, die heute hier sind.
Menschen, die in unsere Gemeinde, kommen sind auf der Suche nach Gemeinschaft miteinander.
Nach Orientierung im Leben und nach Begegnung mit Gott. Einen solchen Ort suchen wir.

 

Ein Mensch unter den ersten Christen hat dieses Erleben aufgegriffen.
Im Hebräerbrief beschrieb er die Menschen, die Gott glauben, als „wanderndes Gottesvolk“.
Noch auf Erden unterwegs. Aber unsere Sehnsucht, unser Ziel wird in dieser Welt nicht in feste Formen gegossen werden.
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr 13,14)

 

Präses Peter Beier hat vor Jahrzehenten bei Einweihung des Berliner Doms gepredigt:
Das Christentum braucht keine Dome. – Er hatte recht!

Jesu Botschaft braucht keine Mauern und keine Steine, keinen Beamtenstatus, keine Doppelhaushalte, keinen E-Check, keinen Datenschutzbeauftragten, … – Jesus setzte sich mit 5.000 Menschen auf einen Berghang und fing an zu erzählen. Das kann genug sein! Wäre es uns genug?

So viel ist sicher: Zeit, die vor uns liegt, wird Zeit mit leichtem Gepäck.

 

Du bist Abraham! Du bist Sarah! Wie sie habt Ihr den Segen.
Der ist kein plattes ‚Alles wird gut!“. Das war er nie!
Segen ist die Zusage Gottes, dass alles sich ändert – und er bleibt dabei.
Und dass deshalb und dadurch Leben gelingen kann.
Deshalb ist dieses Versprechen Hilfe zum Leben.
Aber Segen ist nicht Erfüllung unserer Wünsche schon übermorgen.
Das war der Segen nie – auch nicht für Abraham und Sarah.

 

Sie kommen nach Kanaan – und fliehen vor Hunger nach Ägypten.
Sie kehren zurück. Lot trennt sich im Streit von ihnen.
Abraham bekommt ersten Sohn – aber nicht von Sarah.
Sodom und Gomorra gehen unter – vor den Augen der beiden.
Schließlich bekommt Sarah einen Sohn: Isaak. Sarah lacht.
Als seine Frau stirbt, kauft er einen Grabplatz für sie und sich.
Im gelobten Land. Da finden sie ihre Ruhe.

 

Alles wird anders! Aber Gott bleibt dabei. Er hilft auf den Weg.
Er ist Gesprächspartner. Fast wie ein Freund.
Er fordert uns zur Veränderung auf und verändert uns.
Auf dem Weg dahin unterstützt und begleitet er uns.
Es ist seine Zukunft, der wir entgegen gehen. Das ist Segen.

 

Der Segen wird Euch weiter begleiten.
Am Eingang vor dem Gottesdienst haben wir Segenswünsche gesammelt für das neue Presbyterium.

Da steht:

… Gottes guter Geist bei allen Beratungen

… Geduld und Kompromissbereitschaft

… Freude und Humor, dass unser Gott euch lachen lehrt wohl über alle Welt 😊

… Erfahrungen mit Gottes Gegenwart in der Tiefe

… Besonnenheit und Kreativität

… dass ihr Gottes Begleitung auch bei schwierigen Entscheidungen spürt

… keine Angst vor gar nix und aus Gottes Zusage genährter Mut zur Zeugenschaft.

… stetige Ausrichtung am Neuen Testament.

… Gottes Segen und viel Fantasie.

… den Blick fürs Wesentliche bewahren!

… respektvoller Umgang miteinander.

… manchmal nötig: Durchhaltevermögen!!!

… Mut, neue Wege zu gehen.

… nicht so furchtbar lange Sitzungen! 😊

… Offenheit für Gottes Geist!

Das soll Euch in den nächsten vier Jahren begleiten.

 

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Euch.
Nach diesem Wochenende noch mal besonders.
Wir gehen einer ungewissen Zukunft entgegen.
Das wird spannend wie lange nicht mehr!
Und sicher ganz anders als wir es uns jetzt ausmalen.
Aber die Zukunft beginnt jetzt! Wie gehen wir ihr entgegen?

 

Weite. Leere. Viel Raum.
Abraham löst den Blick vom Horizont. Er dreht sich um.
Er sieht Sarah. Sie nickt ihm zu.
Abraham gibt sich einen Ruck. „Es geht los!“ ruft er.
Er macht den ersten zögernden Schritt. Und noch einen.
Die Schafe blöken, die Ziegen meckern, die Knechte treiben sie an.
Die kleine Karawane bricht auf.
Abraham weiß nicht, was vor ihnen liegt.
Er hat eine Sehnsucht, eine Hoffnung, eine Zusage. Er hat den Segen.

 

Und so setzt sich das wandernde Gottesvolk in Bewegung.
Es wird mehr als ein Dutzend Generationen brauchen,
bis sich das Volk Gottes niederlassen kann im gelobten Land.
Das Land, das Abraham und Sarah versprochen wurde.

 

So steht es im 1. Buch Mose, im 12. Kapitel:

Da machte sich Abraham auf den Weg, wie Gott, der Herr es ihm befohlen hatte.
Sein Neffe Lot ging mit ihm. Abraham war 75 Jahre alt, als er Haran verließ.
Er nahm seine Frau Sarah mit und Lot, den Sohn seines Bruders, dazu ihren ganzen Besitz mitsamt den Knechten und Mägden, die sie in Haran in Dienst genommen hatten.
So brachen sie auf, um in das Land Kanaan zu gehen.

Amen.