Kirche nicht für, sondern mit anderen!
„Wir sind Einwanderungsland – schon seit langem“, mahnte Präses Manfred Rekowski an. „Aber was dieser tiefgreifende gesellschaftliche Wandel für uns als Kirche bedeutet, das haben wir bislang nur ansatzweise bedacht.“ So selbstkritisch gab sich der leitende Geistliche unserer Landeskirche bei der Eröffnungsveranstaltung des Beratungsprozesses „Interkulturelle Öffnung“ Mitte September.
Unter den Menschen, die nach Deutschland zuwandern, sind viele Christen. Offizielle Statistiken sprechen von Jahr zu Jahr zwischen einem Viertel und über der Hälfte aller Zuwanderer. Wollen evangelische Gemeinde diese als Mitchristen bei sich willkommen heißen, müssen sie bereit sein, sich zu verändern – sei es in der Arbeit mit Kindern, in der Diakonie oder im Gottesdienst. Doch derzeit ist evangelische Kirche meist noch die Kirche der schon lange Einheimischen.
Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) hat darum einen moderierten Beratungsprozess beschlossen, der bis 2018 landeskirchenweit für Diskussionsstoff sorgen wird.
Zur Eröffnungsveranstaltung in Wuppertal referierte Klaus Bade, Nestor der deutschen Migrationsforschung. „In Wahrheit sprechen wir nicht von einer Flüchtlingskrise“, so der Emeritus, „sondern von einer Weltkrise, für die wir in Europa eine Mitverantwortung tragen.“
Der Migrationsdruck werde anhalten. Aber für Deutschland sind das gute Nachrichten: Nach demographischen Berechnungen braucht Deutschland 1,2 bis 1,4 Millionen Zuwanderer jedes Jahr, um seine Altersstruktur zu erhalten. „Ohne solche Zuwanderung brechen die sozialen Sicherungssysteme unseres Landes bald zusammen“, spitzte Bade zu.
Als Historiker schaute der Migrationsforscher auch in die bundesdeutsche Vergangenheit: „Als 12 Millionen Vertriebe kamen, dann sechs Millionen Gastarbeiter, dann fünf Millionen Übersiedler aus der DDR und zuletzt vier Millionen Spätaussiedler – immer gab es zuerst den öffentlichen Aufschrei: ,Das schaffen wir nicht!‘ Aber im Rückblick …“
Doch interkultureller Umgang ist auch eine Herausforderung. So formulierte eine Ehrenamtliche aus der Kirchengemeinde Büchenbeuren auf dem Hunsrück, die dort ein Begegnungs-Café für Flüchtlinge und Einheimische betreut: „Es braucht Überwindung, immer wieder auf den Anderen zuzugehen.“
„Interkulturelle Öffnung ist kein akademisches Sandkastenspiel, sondern harte Arbeit“, gab Präses Rekowski seinen Zuhörern darum mit. „Denn sie bringt Unruhe und Bewegung.“
Rekowski, der selber als Fünfjähriger aus Masuren nach Deutschland kam, schwor seine Landeskirche darauf ein, nicht nur Kirche für andere zu sein: „Zuwanderer sind nicht bloß Objekte unserer Bemühungen.“ Christen aus anderen Ländern und Kulturen stellten hiesige Gemeinden vielmehr vor die Aufgabe, Kirche mit anderen zu sein. „In der Historie hat unsere Kirche von Zuwanderern profitiert“, erinnerte Rekowski. „Wie wird es uns heute bereichern und verändern?“
Wo schon Neues erprobt wird, zeigte der Austausch unter über 100 Fachleuten in Wuppertal. Um diese Diskussion voranzutreiben, hat die Landeskirche das Werkbuch „In Vielfalt leben“ publiziert: Auf knapp 100 Seiten werfen Experten Fragen auf, die 2018 in einer Standortbestimmunge der EKiR in der Einwanderungsgesellschaft münden sollen. Auf http://interkulturell.ekir.de können das Werkbuch und die Online-Diskussionen eingesehen werden. Wie Migrationsforscher Klaus Bade sagte: „Die Zukunft – und die Diskussion darüber – haben gerade begonnen!“