Guckt hin! Sein Kreuz hat keine Haken!

Diese Ansprache hielt Pfarrer Dr. Stefan Heinemann am 30. Januar 2024 bei der Mahnwache “Hennef bleibt bunt!” vor dem Hennefer Rathaus.

Liebe Menschen hier in Hennef!
Ich stehe hier vorne für die evangelischen Kirchengemeinden in Hennef.
Ich stehe hier vorne als promovierter Pfarrer, um Ihnen zu sagen:
In der Bibel zu lesen, kann todlangweilig zu sein.
Vor allem, wenn man vorne anfängt.
Adam und Eva zeugten Kain und Abel und Set.
Abel blieb kinderlos, weil Brudermord.
Aber Kain zeugte Henoch. Und Set zeugte Enosch.
Und Enosch zeugte … und so weiter und so weiter.
Bis irgendwann in zehnter Generation Jakob, der Stammvater des Volkes Israel, Erwähnung findet.

Diese Stammbäume in der Bibel zu lesen, kann todlangweilig sein – bis man versteht:
Jeder einzelne Name darin steht für eine Volksgruppe aus der Nachbarschaft Israels.

Wir sind verwandt, direkt und blutsverwandt mit allen anderen Menschen- und Volksgruppen um uns herum.
Das ist die tiefe Überzeugung der Bibel – schon in den ersten Kapiteln:

Alle Völker der Erde sind gleich vor Gott. Es gibt keine Hierarchie der Völker.
Es gibt kein völkisches Denken in der Bibel.

Und vor Gott gibt es auch keine Unterschiede zwischen den Menschen.
„Da ist weder Jude noch Grieche, weder Herr noch Knecht, weder Mann noch Frau.“
Schreibt der Apostel Paulus. 1.900 Jahre vor der Verkündung der Menschenrechte.

Und wenn manche in sehr rechtskonservativen Kreisen meinen, das christliche Abendland verteidigen zu müssen, indem sie Menschen kein Asyl mehr gewähren, Fremdlinge in ihre vermeintlichen Heimatländer zurückschicken und Menschen, die hier zu Hause sind, nach Volkszugehörigkeiten unterscheiden wollen
– dann haben Sie einen „Fliegenschiß“ verstanden von christlichen Werten. Sehr geehrte Herren Höcke und Sellner!

Jedes völkische Denken, jede Herabwürdigung anderer Menschen widerspricht zutiefst den christlichen Werten
eines Jesus von Nazareth.
Guckt hin! Sein Kreuz hat keine Haken!

Jedem in diesem Land steht es frei, an Gott zu glauben oder nicht. Und das ist gut so!
Aber unsere Gesellschaft fußt auf Werten aus jüdisch-christlicher Tradition:
Nennen Sie es Menschenfreundlichkeit, nennen Sie es Solidarität, nennen Sie es Nächstenliebe.

Aber wir alle sind heute Abend hier, weil wir – wie Hunderttausende im Land – aufgeschreckt sind von diesem Geheimtreffen in Potsdam im letzten November.
Da wurde diesen Werten die Axt an die Wurzel gelegt.

Auch von Vertretern einer Partei, die sich anschickt, Parlamente zu erobern und meint, eine Alternative für Deutschland zu sein. Was für eine Alternative soll das sein?

Wenn Masterpläne für die massenweise Deportation von Menschen geschmiedet werden.
Wenn 82 Jahre nach der Wannsee-Konferenz wieder Menschen von Staats wegen sortiert werden.
Dann ist eine rote Linie überschritten.

Das ist nicht meine Alternative!

Ich will leben in einem Land, in dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft, Kultur und Religion frei und sicher leben können. Weil sie gleich angesehen sind vor Gott und den Menschen.

Ich will leben in einem Land, in dem das Kind eines Kriegsflüchtlings aus Syrien und das Kind eines Landwirts aus dem Bergischen zusammen die Schulbank drücken, um gemeinsam zu lernen, dass Frieden und Freiheit lebenswichtig sind.

Ich will leben in einem Land, in dem Menschen nicht nach Hautfarbe und Akzent beurteilt werden, sondern wo man die bunte Vielfalt liebt.
Hennef ist bunt! Unser Land ist bunt! Gott sei Dank!

Liebe Menschen heute hier in Hennef!
Wir müssen laut sagen, was auf dem Spiel steht.
Wir müssen deutlich machen, was die Alternativen sind.
Aber nicht, indem wir uns einfach nur empören.
Nicht, indem wir selber populistische Parolen führen.
Empörung, die nur auf grölenden Beifall setzt
– Emotionalisierung, der die Wahrheit egal ist
– das sind Antriebsriemen der Populisten auf beiden Seiten.
Das haben wir nicht nötig. Nicht so.

Und deshalb, auch wenn wir alle die, die sich zurzeit im Dunstkreis der AfD bewegen, weil sie sich von den Entwicklungen der letzten Jahren überfordert und überrollt fühlen, – wenn wir die pauschal ‚Rassisten‘ nennen und für die Demokratie verloren geben, arbeiten wir nur denen zu, die unsere Gesellschaft destabilisieren wollen.
Geben wir die, die uns sagen, dass sie mit der AfD sympathisieren, nicht auf!

Ja, es gibt den harten Kern derer, die für die Demokratie ‚verloren‘ sind, weil sie wirklich nicht wollen und hoffen, in einer anderen Republik zu den Gewinnern zu gehören.
Aber das sind bei weitem nicht alle!
Und wenn ich heute abend hier stehe und Hunderte Menschen vor mir sehen, dann weigere ich mich zu glauben, dass über 20% unserer Bevölkerung so menschenverachtend denken sollen.

Dafür stehen wir heute hier: Menschenfreundlichkeit und Nächstenliebe, bunte Vielfalt und Demokratie.
Aber bitte, nicht nur heute abend!
Als Christ bete ich dafür, dass diese Mahnwache kein Event der Gleichgesinnten bleibt.
Ich bete dafür, dass wir uns miteinander einmal mehr versprechen: Wir werden uns hier in Hennef und darüber hinaus einsetzen für Nächstenliebe, Vielfalt und Demokratie.
Ich bete dafür, dass wir auch morgen den Mut aufbringen, mit Menschen ins Gespräch zu gehen und menschenverachtende Aussagen nicht unwidersprochen stehen zu lassen.
Ich bete dafür, dass im politischen Miteinander weiter gilt: Man erkennt Demokratinnen und Demokraten an ihrem feurigen Engagement, an ihrem respektvollen Ton und am sachlichen Streit.
Das mag wirken, als sei es todlangweilig.
Aber nur bis man versteht … nie wieder ist jetzt!
Wir müssen laut sagen, welche Alternative wir wollen für das Land und für die Stadt, in der wir leben.
Hennnef bleibt bunt!  Dafür bete ich heute abend. Danke!