Muss Ordnung sein?

„Wer Ordnung hält ist nur zu faul zum Suchen.“ Diesen Spruch höre ich von meiner Tochter, wenn ich sie bitte, ihre Sachen aufzuräumen.
„Halte Ordnung, liebe sie, sie erspart dir Zeit und Müh“, gebe ich in Reimform zur Antwort und sie kontert: „Das Genie beherrscht das Chaos!“
Das mag ja vielleicht so sein – aber ich bin kein Genie, ich muss aufräumen. Immer wieder tue ich es und es tut mir gut.
Ich brauche Ordnung. Ich brauche die äußere Ordnung, damit ich mich auch innerlich ordnen und sortieren kann: Wo ordne ich etwas ein?
Wo hat etwas seinen Platz? Was ist wichtig und wird täglich gebraucht und was kann ich ganz nach hinten räumen? Was wird aussortiert, weiter gegeben und was gehört in den Müll?
Wenn mein Umfeld aufgeräumt ist, werde ich selber auch aufgeräumt: ich kann klarer sehen und klarer denken und es ist auch wieder Raum frei für Kreativität. Aufräumen und ausmisten schafft Frei-Raum.
In der Schöpfungsgeschichte wird erzählt, dass Gottes schöpferisches Handeln zunächst auch ein Aufräumen ist. Auf der Erde herrscht „Tohuwabohu“ und Gott räumt auf: er trennt das Wasser auf der Erde von den Wassern im Himmel, er lässt die Wasser sich sammeln, damit trockenes Land entsteht, er unterscheidet Licht und Finsternis, er gibt den Gestirnen einen Platz am Himmel usw. Dieser alte Mythos von der Erschaffung des Himmels und der Erde erzählt ganz anschaulich, dass die Entstehung des Lebens Ordnung und Struktur braucht, Rhythmen und konstante Rahmenbedingungen. Gottes Aufräumen schafft Lebensraum.
Genauso werden Ordnungen, Regeln, die von allen respektiert werden, für das Zusammenleben von Menschen gebraucht, damit jede einzelne Person sich entfalten kann. Mit den 10 Geboten hat Gott seinem Volk Grundregeln für ein Leben in Freiheit mitgegeben.
Das Doppelgebot der Liebe macht den tieferen Sinn dieser Gebote deutlich: Lebe in einer Haltung der Wertschätzung und Achtung gegenüber Gott und deinen Mitmenschen und dir selber. Dann ist dein Leben in guter Ordnung.
Die Gemeinschaft insgesamt lebt davon, dass die Mitglieder die Regeln akzeptieren und dass Ordnungshüter, die Macht haben, die Ordnung durchsetzen: der Schiedsrichter im Sport, der bei Regelverletzungen abpfeift; die Aufsicht auf dem Schulhof, die bei Gewalt einschreitet; der Hausverwalter, der die Mietparteien anhält, den Putzplan einzuhalten; die Mitarbeitenden vom Ordnungsamt, die Strafzettel an falsch geparkte Autos klemmen; die Verbraucherzentralen, die Produkte auf ihre Qualität hin untersuchen; Polizisten, die einschreiten wenn Menschen belästigt oder in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden … sie alle hüten Ordnungen und übernehmen damit eine wichtige Aufgabe für die Gemeinschaft.
Auch in der Kirche gibt es Ordnungen und Regeln. In unserer evangelischen Kirche ist es die Aufgabe der Presbyterien, diese Ordnung zu hüten. Aus der Mitte der Gemeinde werden Personen gewählt, die immer wieder „aufräumen“ und darauf achten, dass das Gemeindeleben in guter Ordnung ist und dem Geist Gottes entspricht. Unsere Kirche ist so aufgebaut, dass in demokratischen Prozessen Frauen und Männer gewählt und berufen werden, die Leitung und Gesetzgebung der Kirche insgesamt zu gestalten. Jedes volljährige Gemeindeglied kann mitwirken, sich einbringen und seine Gaben beitragen.
„Liebe Gemeindeglieder, achtet alle diese Frauen und Männer, die zum Dienst in Eurer Mitte berufen sind, um ihres Amtes willen, und betet für sie, auf dass sie es mit Freuden ausrichten und darin nicht müde werden.“
Dieser Satz wird bei der Einführung des Presbyteriums im Gottesdienst an die Gemeinde gerichtet.
Dieser Satz kann in unserem Land mit einer demokratisch gewählten Regierung auch im Blick auf unsere Politikerinnen und Politiker gesagt sein. Sie brauchen – gerade in schwierigen Zeiten – unsere Achtung und unser Gebet, für die große Aufgabe unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu vertreten und zu schützen.
Und dieser Satz kann auch gesagt sein im Blick auf die vielen, die Ordnung halten, in den Familien, in Haushalten und Büros, auf unseren Straßen, in unserem Land. Mit unserem Aufräumen, Ordnung halten und schaffen haben wir Anteil an Gottes schöpferischem Handeln, das Lebensraum eröffnet.
Ihre Pfarrerin Antje Bertenrath