Wie christlich ist die AfD?

Liebe Gemeinde,
bitte machen Sie sich auf was gefasst! Das hier ist eine Predigt, die auch so gehört werden kann, dass sie politische Implikationen hat. Ich möchte mich heute morgen auseinandersetzen mit der AfD – mit einer Auswahl ihrer wichtigsten Thesen und Inhalte! Ich möchte die ‚Alternative für Deutschland‘ ernst nehmen. Denn die AfD sagt auch, dass sie auf christlichen Werten fußt.
Ihr bekanntestes Gründungsmitglied, Prof. Bernd Lucke, ist bekennendes Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche. Er hat die Partei mittlerweile verlassen. Ersteres gilt aber genauso für aktuelle Führungspersönlichkeiten der AfD wie die Europaabgeordnete Beatrix von Storch.
Das bekannteste Gesicht der Partei ist die Bundesvorsitzende Frauke Petry – sie hat sich im Alter von 9 Jahren bewusst taufen lassen. Sie war lange Jahre Pfarrfrau in Ostdeutschland. Mit ihrem Mann, der sich mittlerweile von ihr getrennt hat, hat sie vier Kinder. Und Frauke Petry spricht selbst davon, dass sie in der AfD mitarbeitet, um „die europäisch-christlichen Werte des Abendlandes zu verteidigen“.
Die AfD nimmt für sich in Anspruch, auf christlichen Werten zu fußen und dabei möchte ich sie einfach mal ernst nehmen.

Der Predigttext des heutigen Sonntags gibt mir den Anstoß dazu.
Er steht im 1. Johannesbrief, im 5. Kapitel.
Dort legt sein Autor den Lesern nahe: Wer dem menschgewordenen Christus folgt, wer dem Vater Jesu Christi sein Gottvertrauen schenkt, der wird auch die Menschen lieben, die alle Gottes Kinder sind, und wird Gottes Gebote halten. Das ist nicht schwer – sagt der 1. Johannesbrief.
Ich lese den Predigttext aus 1. Johannes 5,1-4:
1 Wer glaubt: Jesus ist der Christus, der hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt, liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
2 Ob wir die Kinder Gottes lieben, erkennen wir daran:
Wir lieben Gott und halten seine Gebote.
3 Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin, dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer, seine Gebote zu halten.
4 Denn jeder, der Gott zum Vater hat, besiegt die Welt.
Dabei ist es unser Glaube, mit dem wir diesen Sieg über die Welt erringen.

Ich verstehe diesen Text im Licht von Ostern: Gott hat die Mächte des Todes besiegt.
Das ist „die Welt“ – das ist all das, was im Leben dem Tod dient – und Jesus ans Kreuz gebracht hatte: Der Hass unter Menschen, gegenseitige Verachtung, aber auch Gewalt gegeneinander.
Das ist zu Ende mit Ostern! Ostern ist der Neuanfang im Licht der Liebe Gottes.
Die, die dem Vater Jesu Christi glauben, sehen in allen Menschen Gottes Kinder. Sie folgen seinen Geboten, die Gebote der Menschenliebe sind. Mit diesem Gottvertrauen können sie Verachtung und Hass unter den Menschen hinter sich lassen.
Auf diesen Prüfstein möchte ich die Positionen der AfD legen: Sehen Ihre führenden Vertreter die Menschen im Licht von Ostern? Das zu beurteilen hat gewisse Schwierigkeiten, weil die AfD eine junge Partei in der Findungsphase ist. Bis heute gibt es kein Bundesparteiprogramm. Aber es ist notwendig, weil die AfD eben von sich sagt, sie stehe auf dieser Grundlage – und damit überraschend große Zustimmung erhielt bei den letzten Landtagswahlen.
13% waren es in der Verbandsgemeinde Altenkirchen, 15 Kilometer südlich von hier; 15% in Andernach am Rhein, wo ich aufgewachsen bin. Jeder fünfte hat in Ludwigshafen der AfD seine Stimme geschenkt.
Dabei waren auch katholische und evangelische Christen, die der AfD ihre Stimme geschenkt haben.

Meine erste Anfrage: Die Migrationspolitik
Mit diesem Thema hat die AfD in den letzten Monaten am deutlichsten Profil bekommen. Damit hat sie Wahlen gewonnen. Vertreter der Partei plädierten für einen generellen Aufnahmestopp in Zeiten des Flüchtlingszustroms – ja, das Asylrecht solle komplett ausgesetzt werden, war da zu hören.
Wegen ihrer aufnahmefreundlichen Flüchtlingspolitik erstattete die Parteispitze im letzten Herbst Anzeige gegen Kanzlerin Angela Merkel – wegen „Schleusertätigkeit“.
Im Dezember behauptete AfD-Vorstand Björn Höcke, Afrikaner und Europäer hätten „zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien“. Und meinte: Europäer bekommen weniger Kinder, Afrikaner viele. Deshalb wird Europa von den Schwarzen überrannt werden.
Im Hintergrund dessen steht die angeblich wissenschaftliche These vom ‚Großen Austausch‘, die in AfD-Kreisen gepflegt wird: Wir erlebten dieser Tage den Anfang einer gigantischen Migrationsbewegung, in deren Folge ganz Europa von Afrikanern und Asiaten überfremdet und kolonisiert werde.
Wiederholt verteidigten AfD-Politiker die Aussage, als ultima ratio dürfe an der Grenze auf unbewaffnete Flüchtlinge geschossen werden, um sie vom Grenzübertritt abzuhalten.
All das höre ich und recherchiere ich. In der Bibel aber lese ich in 3. Mose 19: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken und er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“
Und im Matthäusevangelium sagt Jesus Christus: „Ich bin durstig gewesen, ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet.“ (Mt 25) Und Jesus sagt, danach wird Gott die Menschen beurteilen: Wer ins Reich Gottes kommt – und wer ins ewige Feuer. An uns sollen die Menschen spüren, dass Gott sie liebt.
Und ich frage mich, wie passt das zusammen: Das, was ich in der Bibel lese – und das, was ich von Christen aus der AfD höre?

Meine zweite Anfrage: Der Umgang mit dem Islam.
Vor einem Monat wurde ein Strategiepapier der AfD-Vizechefin Beatrix von Storch geleakt, in dem sie schreibt, dass „der Islam das brisanteste Thema des Parteiprogramms überhaupt“ sei. Damit will die AfD in den nächsten Monaten von sich reden machen.
So steht es im Programmentwurf, der in zwei Wochen von einem Bundesparteitag beschlossen werden soll: Minarette und Muezzinrufe sind als „islamisches Herrschaftssymbol“ abzulehnen. Schlichtweg verboten gehören islamischer Religionsunterricht, das „betäubungslose Schächten“ von Tieren und die Beschneidung von Jungen, letzteres weil verfassungswidrig – in Klammern: All das würde Juden genauso betreffen wie Muslime.
Denn: „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist“, sagt die stellvertretende Parteivorsitzende Beatrix von Storch. Und ihr sekundiert AfD-Vize Alexander Gauland, wenn er sagt: „Die Islamisierung Deutschlands ist eine Gefahr.“
Und ich wundere mich, wie man so pauschal über 1,5 Milliarden Muslime weltweit reden kann. Passen die alle in einen Topf? Und ist die Trennung von Staat und Religion in Ländern wie der Türkei und Indonesien nicht genau so alt wie in Deutschland: Nämlich 50 bis 100 Jahre?
Und zuletzt ist hier die Rede von dem Islam, der noch vor 80 Jahren selbst komplett kolonisiert war – von Ländern Europas. Und ich frage mich: Wer hat sich in der jüngeren Geschichte als kolonialistisch erwiesen?
In der Bibel aber lese ich im Buch Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes, in der ich euch wohnen lasse, und betet für sie zu Gott. Denn wenn es ihr wohlergeht, so geht es euch auch wohl.“ (Jer 29,7) Das empfiehlt der Prophet denen, die seinen Brief lesen und in einer Multikulti-Stadt im Zweistromland voller Religionen und Nationen leben: Bemüht euch um das Zusammenleben da, auch wenn es ungewohnt erscheint.
Und seinen Jüngern sagt Jesus in der Berpredigt: „Selig sind die, die Frieden stiften.“ (Mt 5)
Und ich frage mich, wie passt das zusammen: Das, was ich in der Bibel lese – und das, was ich von Christen aus der AfD höre?

Meine dritte Anfrage: Das Auftreten
Ein drittes stört mich am Auftreten der AfD – und es ist vielleicht sogar das, was mich am meisten stört. Hochrangige Vertreter der AfD spielen in der Öffentlichkeit mit den Ängsten der Menschen. Sie propagieren, diese ernst zu nehmen – und schüren sie, weil sie sie überzogen und pauschal widergeben. Sie benutzen dabei allzu oft eine hasserfüllte Sprache, die menschenverachtenden Gedanken Ausdruck verleiht.
Und – auch das ist bemerkenswert – es ist zur Taktik geworden, mit einem Statement vorzupreschen, um es dann zurückzunehmen, weil man ja angeblich missverstanden worden sei.
So geschehen beim Petry-Zitat vom Schießbefehl. Oder als vor den Landtagswahlen aus AfD-Kreisen die Forderung laut wurde, flächendeckend OSZE-Wahlbeobachter einzusetzen. In der “Merkel-Republik” sei großflächiger Wahlbetrug ja doch gut vorstellbar.
Typisch ist eine Äußerung von Alexander Gauland. Der stellvertretende Sprecher der AfD verglich in einem Interview mit der ZEIT die Flüchtlingssituation mit einem Wasserrohrbruch: „Man kann sich nicht einfach überrollen lassen. Einen Wasserrohrbruch dichten Sie auch ab.“ Gauland forderte geschlossene Grenzen und „wir müssen […] dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ Gaulands Tochter ist evangelische Pfarrerin in Rüsselsheim. Dorothea Gauland hat einen eritreischen Flüchtling bei sich aufgenommen und äußert sich in demselben Artikel: „Ich finde es schrecklich, was mein Vater sagt.“ Ihr Vater habe nicht viel zu ihrer Entscheidung gesagt, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen, heißt es, aber dass sie verschiedene politische Positionen vertreten sei nicht ungewöhnlich. Nur fehle Dorothea Gauland inzwischen „das Differenzierte“ in den Äußerungen ihres Vaters.
Sicher, in der Politik gehört Klappern zum Geschäft. Aber in der Bibel lese ich auch in den Psalmen des Alten Testaments, dass Gott die liebt, die ehrlich und aufrichtig sind.
Und in der Bergpredigt empfiehlt Jesus seinen Jüngern: „Eure Worte seien Ja, Ja und Nein, Nein. Jedes weitere Wort kommt vom Bösen.“ (Mt 5,37)
Und wieder frage ich mich, wie passt das zusammen?

Zum Abschluss
Liebe Gemeinde, ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen.
Ich spreche hier und heute nur für mich.
Denn darauf bin ich stolz: Wir sind evangelisch. Das heißt, jeder Christ und jede Christin darf für sich selber entscheiden, was er oder sie mit seinem Glauben an den Vater Jesu Christi in Einklang bringen kann. Aber er muss es auch.
Deshalb hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt. Als Symbol liegt sie offen aufgeschlagen da vorne auf dem Altar. Damit jeder nachlesen kann, was Gottes Gebote sind und wovon Gott träumt. Jeder kann sich ein eigenes Urteil bilden. Dem will ich nicht vorgreifen – jeder mache sich selbst ein Bild!

Aber das habe ich gesagt: Mir fällt es schwer, manche Überzeugungen aus der Gedankenwelt der AfD in Einklang zu bringen mit dem, was ich in der Bibel lese.
Ich denke, solche Äußerungen stehen nicht auf dem Grund christlicher Überzeugungen. Meine Meinung!
Denn auch das ist gut evangelisch. Dass wir nicht immer einer Meinung sind.
Diskutieren Sie gerne mit mir. Ich freue mich darauf. Amen.

Predigt gehalten von Pfarrer Dr. Stefan Heinemann,
am 17. April 2016 in der Christuskirche Hennef