Schau an der schönen Gärten Zier
Mein Großvater Theo war zeitlebens ein hervorragender Geschichtenerzähler – und er hatte Material genug! Theo hatte den Krieg erlebt: Er konnte erzählen, wie seine Einheit an Eismeer aufgerieben wurde – und darüber lachen, wie er noch den US-Soldaten auf den Arm nahm, der ihn in der Wüste Tunesiens gefangen nahm.
Andere sind an solchen Erlebnissen zerbrochen. Theo war auch beeindruckt von diesen Erfahrungen. Aber er hatte eine Eigenschaft, die über vieles hinweghalf: Er konnte dankbar sein für jede Kleinigkeit, die ihm begegnete.
“Was bin ich doch für ein toller Kerl, …”
Dann trat er mit 84 Jahren aus der Haustür, schaute in den wolkenlosen Himmel und sagte allen Ernstes: „Was bin ich doch für ein toller Kerl, dass Gott das alles für mich gemacht hat!“
Danach ging er mit einem schelmischen Lächeln zu seiner Nachbarin herüber, die ihren Vorgarten pflegte: „Danke, Frau Jordan, dass Sie so schöne Tulpen für mich gepflanzt haben!“
Theo konnte alles auf sich beziehen – und dafür dankbar sein.
Darf man das: Alles auf sich beziehen – und für jede Kleinigkeit Gott danken? Ja – und es tut gut. Weil man dann dem Alltag des Lebens abhorcht, was ihn füllt – und das vor Gott bringt. Das Alltägliche verändert sich. Im Danken und Bitten gewinne ich eine neue Perspektive. Ich schöpfe Vertrauen und Hoffnung und entdecke das Leben als Geschenk!
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben.“ (EG 503)
Der Liederdichter Paul Gerhardt gehörte auch einer Kriegsgeneration an. Er war 46 Jahre alt, als er „Geh aus mein Herz“ komponierte. Gerhardt war elf gewesen, als 1618 der 30-jährige Krieg ausbrach. Seine Schrecken und Zerstörung hat er ein Leben lang miterlebt.
Das muss man wissen, um dieses Gassenhauer der Kirchenmusik zu verstehen. Denn viele halten es nur für ein launiges, fröhliches Naturlied, geschrieben beim Sonntagsspaziergang durch die Maienlandschaft. Hat man jedoch die Lebensgeschichte Gerhardts nachvollzogen, dann bröckelt die romantische, kitschige Fassade.
Im Herz wohnt Gottvertrauen
Sein Herz – das ist für Paul Gerhardt der Ort, an dem sein Gottvertrauen wohnt. Diesen Teil seiner Persönlichkeit sendet er aus – nicht um Gott in der Welt zu suchen, sondern um im sicheren Vertrauen auf Gott Freude zu finden: „Geh aus mein Herz und suche Freud“!
In den Strophen seines Liedes durchwandert Paul Gerhardt einen Garten, der zeitlos ist. Dieser Garten versammelt Bilder der Natur aus allen Jahreszeiten. Viele davon sind christliche Symbole: Der Weinstock, der Hirte mit seinen Schafen, das Weizenkorn … – die Naturaufnahmen sind Trostbilder.
Das ist der Zauber dieser Strophen: Jeder, der mitsingt, kann sein Herz hinaus schicken, um mit Paul Gerhardt die bunten Assoziationen einzusammeln, die seine Bilder wecken.
„Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du’s uns so lieblich gehen auf dieser armen Erden: Was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden!“
Und die Lieblichkeit der Erde schenkt Paul Gerhardt dann die Kraft, weiter zu träumen. Es ist, als führte Paul Gerhardt einen bei seiner Wanderung durch der Gärten Zier an ein weiteres Tor – und öffnete es für einen Augenblick: Da, dahinter wartet ein noch größerer Garten, noch zauberhafter die Musik, noch strahlender und lieblicher das Licht. Das hat nichts mit Weltverachtung zu tun, sondern ist Glaubenszuversicht – aus dem Blick des Herzens auf das blühende Leben hier.
Anlässe, Gott zu glauben
Am Ende stelle ich mir Paul Gerhardt ein bisschen vor wie meinen Großvater: In einer Zeit mit schrecklichen Ereignissen konnte er Dankbarkeit empfinden für vieles. Er sah, was andere übersahen, und erkannte darin Anlässe, Gott zu glauben. Ihm gab das Mut fürs Leben.
Deshalb singe ich dieses Lied gern – gerade jetzt in der Sommerzeit. Und ich denke dabei an meinen Großvater, den seine Eltern aus lauter Dankbarkeit Theo-dor genannt hatten. Das ist griechisch und heißt „Geschenk Gottes“.
Einen blühenden, ermutigenden Sommer wünscht Ihnen
Stefan Heinemann, Pfarrer