Predigt an Heiligabend: Welcher Name?

Diese Predigt hielt Pfarrer Dr. Stefan Heinemann in der Christvesper an Heiligabend, 24.12.2024, zum vorgeschlagenen Predigttext aus Jesaja 9,1-6.
Eine Mutter überlegt: Welchen Namen?
Eine Frau ist schwanger. Hier in Hennef – in Edgoven.
Sie und ihr Mann freuen sich – und sie haben Angst.
Die letzte Schwangerschaft endete nach Monaten der Hoffnung mit einer Fehlgeburt.
Sorgfältig begutachtet die junge Frau jetzt jede Entwicklung ihres Körpers: Geht es dem kleinen Wesen gut?
Dann setzen die Wehen ein. Geschwinde Fahrt in die Geburtsklinik.
Kreissaal: Das Kind ist da! Schreit aus voller Lunge. Ist gesund!
Ein Kind ist uns geboren. Ein Sohn ist uns gegeben!
Die Eltern können sich vor Freude kaum fassen.
Eine Geburt ist ein Moment zwischen den Zeiten.
Er ist angefüllt mit Dankbarkeit, Freude und Hoffnungen.
Welchen Namen soll ein Kind tragen, um all diese Gefühle auszudrücken?
Welchen Namen sollen wir ihm geben?, überlegen die Eltern.
Die Hirten am Stall
Zeitsprung. Die Hirten stehen am Stall.
Die Beine sind ihnen wabbelig. Die rauen Hände zittern.
Violette Farbkreise tanzen durch ihr Sichtfeld – Nachwirkungen des hellgrellen Lichts in dunkler Nacht. Und das laute Dröhnen der vielen Stimmen brummt nach in ihren Ohren.
Aber hierhin sollten sie gehen, haben die Stimmen gesagt.
Gesungen? „Ihr werdet ein Kind finden, in der Krippe liegen …“
Einer stößt sanft die Tür auf. Das Holz knarzt.
Die beiden Eltern fahren hoch. Waren wohl kurz eingenickt.
Die Hirten treten ein: Leise, leise, um das Kind nicht zu wecken.
Sie tauschen sich aus mit Maria und Josef.
Warum sie da sind, erzählen die Hirten. Was sie erlebt haben.
Worauf sie sich immer noch keinen Reim machen können.
Wie sollen sie beschreiben, was sie nie zuvor erlebt haben?
Stimmen, helles Licht. Eine starke Botschaft.
Mehr körperlich erlebt als sinnvoll verstanden. Was war das?
Maria sucht einen Namen
Maria leiht ihnen ihre Worte.
Vor Monaten hat sie ähnliches erlebt. Kleiner, zarter.
Aber eine Präsenz. Eine Botschaft. Ein Engel, sagt sie.
Ein Bote Gottes, der zu mir von meinem Kind sprach.
Und von einer neuen Zeit, die mit ihm anbricht.
Einem Herrscher in der Nachfolge des Königs David.
Im Namen Gottes, der einsteht für Frieden und Gerechtigkeit.
Der Mächtige vom Thron stößt und die Hungrigen satt macht …
Unsere Zeit ist dunkel. Unser Volk braucht ein Licht, das strahlt!
Sagt Maria. Sie ist immer lauter geworden. Engagierter.
Die Hirten hören, staunen, versuchen zu verstehen.
Und dann fragt Maria: Helft mir doch, Josef und ich sind unsicher.
Welchen Namen sollen wir dem Kind geben?
Nachdem was Ihr und wir erlebt haben – wie soll es heißen?
Die Hirten schauen sich ratlos an. Dann erinnert sich einer …
Der Bibeltext: Jesaja 9,1-6
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.
Über denen, die wohnen im Land der Finsternis, scheint es hell.
[Herr,] Du weckst lauten Jubel,
große Freude bereitest du den Menschen.
Vor deinem Angesicht werden sie sich freuen
– wie man sich freut bei der Ernte,
wie man jauchzt beim Verteilen der Kriegsbeute.
Denn das drückende Joch, die Stange auf ihrer Schulter und den Stock ihrer Antreiber – Du zerbrichst sie wie am Midiantag.
Denn jeder Armeestiefel, der dröhnend stampft,
und jeder Mantel, durch Blut gewälzt,
wird verbrannt – wird ein Fraß des Feuers werden.
Denn: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.
Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt ihn:
Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Groß wird seine Macht sein, und der Friede ewig
auf dem Thron Davids und in seinem Königreich.
Er wird es stärken und stützen durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Die feurige Liebe des Herrn Zebaoth wird das vollbringen.
Der Prophet Jesaja: Ein neuer Herrscher
Ja, sagt Jesaja, das ist gut. So schreib es auf, Baruch!
Jesaja steht im offenen Straßenladen seines Schreibers.
Draußen gehen Menschen vorbei. Drinnen diktiert der Prophet.
Jesaja schreibt nicht selber. Er ist der Prophet, Mundstück Gottes.
Seine Worte, Gottes Worte aufschreiben – das macht Baruch.
Jesaja ist der, der von Jerusalem aus aufmerksam beobachtet und kommentiert, was um ihn herum in Stadt und Land passiert.
Jesaja erinnert sich gut an die Blütezeit des Nordreichs.
Bis vor 15 Wintern war der König dort mächtig wie nie.
Auch hier im Südreich mit der Hauptstadt Jerusalem haben sie darunter gelitten.
Aber dann hörten sie von einem neuen starken Reich im Norden:
Assyrien schob seine Grenze immer weiter vor,
unterwarf ein Reich nach dem anderen.
Seine Soldaten waren unbesiegbar.
Armeestiefel stampften dröhnend, Mäntel in Blut gewälzt.
Auch der König des Nordreichs musste sich unterwerfen und Tribut zahlen.
Seitdem schwanken sie hier in Jerusalem zwischen Hoffen und Bangen.
Lexikalischer Einschub
Voller Begeisterung schreibt 2012 der Historiker Paul Kriwaczek:
„…die wohl einflussreichste und langlebigste militärische Erfindung der Assyrer war – der Armeestiefel.
In diesem Fall handelte es sich um kniehohe Lederschuhe mit dicken Sohlen, Stiefelnägeln und Eisenplatten zum Schutz der Schienbeine, die es zum ersten Mal ermöglichten, in jedem Gelände zu kämpfen, egal wie rau oder nass es war, ob in den Bergen oder im Sumpf, und zu jeder Jahreszeit, ob im Winter oder im Sommer.
Die assyrische Armee war die erste Allwetter- und Ganzjahresarmee.“
Zurück zu Jesaja
Auf dem Weg zu Baruchs Schreibstube kam der Prophet vorbei an den Hütten der Flüchtlinge aus dem Nordreich, die vor den Assyrern hierher nach Jerusalem geflohen sind.
Geflohen sind sie vor den Kriegsgreuel der assyrischen Armee – und dann vor dem drückenden Joch der Steuern des Königs und den Stockschlägen seiner Steuereintreiber – die erhebt der König des Nordreichs, um die Tributzahlungen nach Assyrien leisten zu können.
Hier im Südreich sind sie noch nicht so weit.
Und sie beten zu Gott, dass er die Assyrer von ihrem Land fernhält.
Dazu braucht es einen weisen König, der nach den Geboten Gottes handelt.
Davon ist Jesaja zutiefst überzeugt.
Seine Hoffnungen liegen auf einem Kind, einem dunkelhaarigen Jungen von zehn Jahren.
Hiskia heißt er – und Jesaja verheißt ihm eine große Zukunft.
Er wird ein großer König Israels wie David.
In seinem Reich herrschen Recht und Gerechtigkeit, weil Hiskia als König nach Gottes Ratschluß regieren wird. Gott wird mit ihm sein.
Wortspiele: Vier Namen
Welchen Namen soll Jesaja diesem Kind geben?
Er wählt vier Rätselnamen. Baruch schreibt sie auf.
… hebräisch: “Pälä Joez” – heißt: Wunder-Rat. Unglaublicher Ratgeber.
Super kreativer Counsellor. Agent des Wundersamen.
Geburtshelfer des alle Überraschenden.
… hebräisch: “El Gibor” – heißt: Gott-Held. Held Gottes.
Vorkämpfer des Herrn. Streiter des Ewigen.
Berufssoldat des Höchsten.
… hebräisch: “Awi-Ad” – heißt: Ewig-Vater. Papa der Nation, auf Lebenszeit.
Wohltäter der Menschen, für immer.
Höchste Autorität im Staat – solange er lebt.
… hebräisch: “Sar-Schalom” – heißt: Friede-Fürst. Prince of Peace.
Patron der allumfassenden Glückseligkeit.
Admiral der Friedensflotille.
Rottenführer der fortschreitenden Friedensrevolution.
Wunder-Rat. Gott-Held. Ewig-Vater. Friede-Fürst.
Sind das nun die richtigen Namen für ein Kind, auf dem so viele Hoffnungen ruhen?
Hirten machen einen Vorschlag
Zeitsprung. Die Hirten stehen ratlos da.
Marias Frage schwebt unbeantwortet im Raum: Wie soll ihr Kind in der Krippe heißen?
Samuel, der Älteste unter den Hirten, merkt auf:
Erinnert Ihr Euch an die Worte des Propheten Jesaja?
Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.
Sind wir nicht wie er? Wir leiden unter den Legionären Roms.
Ihre Armeestiefel dröhnen durch unsere Dörfer.
Ihre Steuereintreiber und Zöllner drücken uns unter ihr Joch.
Ist es heute nicht auch so wie es zu Zeiten Jesajas war?
Aber dann kommt ein König wie ein Licht.
Und sie nennen ihn Wundertäter, Held Gottes, Ewigvater, Friedensherrscher.
Maria, Dein Sohn soll einer sein, der Frieden und Recht und Gerechtigkeit bringt.
Weil Gott mit ihm ist.
Nenn ihn: Jeschua – das heißt: Gott rettet!
Dann weiß ich schon, welchen Spitznamen ihm die Griechen geben werden, die kein Hebräisch können, scherzt ein junger Hirte: Jesus!
Was Jesaja sagte und was Christen glauben
Unter den Christen wurde das jahrhundertelang missverstanden:
Jesaja sah sich selbst nicht als den, der die Geburt Jesu prophezeite.
Jesaja sprach von einem König seiner Zeit, dessen Herrschaft unter seinen Zeitgenossen legendär wurde.
Aber das, was mit der Geburt Jesu passierte, erschließt sich erst in diesem Licht, das das Volk gesehen hat, das im Finstern wandelte.
Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.
Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf diesem Kind.
Denn man traut ihm zu, Frieden zu bringen, Recht und Gerechtigkeit.
So wie Jesaja es für seine Zeit und den Königssohn Hiskia erhoffte.
In Jesajas Worten erkannten ChristInnen Jahrhunderte später, worauf Gott mir der Geburt Jesu hinauswollte.
Deshalb macht es Sinn, sich heute an sie zu erinnern.
Denn: Ohne Vergangenheit keine Zukunft.
Ohne Erinnerung an das Licht, das einmal war, keine Zukunftsvision für die Zeit, die vor uns liegt. Mit Gott.
Zurück im Heute
Also, welchen Namen sollen wir heute dem Kind geben?
Welcher Name bringt unsere Hoffnungen zum Ausdruck:
Menschen-Versöhner? Armen-Sättiger? Wunden-Verbinder? Welt-Friedensdiplomat?
Wie übersetzen wir “Jeschua – Gott rettet“ in einer Welt, die Gott rettet – vor sich selbst?
Weil ihre Kriege kein Ende finden – und schwere Armeestiefel dröhnen.
Weil sie einander in Armut und Hass zwingen – und Kinder hungern und Verwundete bluten in ihre Mäntel.
Weihnachten war nie Idylle – auch vor 2.000 Jahren nicht.
Es ist viel besser, viel mehr – eine Hoffnung, die die Welt verändert.
Wenn Du glaubst, dass Gott diese Welt, die er liebevoll gemacht hat, nicht sich selber überlässt.
Wenn Du darauf vertraust, dass Gott in diese Welt kommt, um sie zum Guten anzuleiten.
Wenn Du darauf hinlebst, dass Gott für diese Welt eine gute Zukunft hat, das Reich Gottes
… dann ist nach heute abend alles anders. Weil das den Unterschied macht.
Für Dich, das neugeborene Kind Gottes.
Ein Kind ist uns geboren. Ein Sohn ist uns gegeben.
Amen.