Liebe gewinnt – Predigt zu 1. Petrusbrief 4,7-11

Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an den Moment denke, als sich mehrere tausend Menschen in der LanxessArena in den Armen lagen, um gemeinsam „Liebe gewinnt“ lautstark mitzusingen. Wenn ich auf Konzerten meiner Lieblingsband Brings bin, kann ich sie spüren: Die besondere Atmosphäre, die durch das Miteinander entsteht. Mit ihren Auftritten im Kölner Karneval erreicht die kölsche Rockband Brings ein Millionenpublikum. Wie kaum eine andere Band setzen die Mitglieder um die Brüder Peter und Stephan Brings ihre Reichweite ein, um auf soziale Themen aufmerksam zu machen. Mit ihren Liedern wie „Liebe gewinnt“ oder „Bunte Brücken“ treffen sie einen Nerv in einer Zeit, in der vieles bedroht ist – der Frieden in Europa, das Klima, eine handlungsfähige Demokratie, der Glaube an die Zukunft.
Mit ihrem Hit „Liebe gewinnt“ aus dem Jahr 2017 bringen Brings vieles von dem zur Sprache, was ich angesichts der aktuellen Weltlage christlich zu sagen habe. Deswegen nehme ich Sie mit auf meine Entdeckung, was bereits die erste Strophe des Liedes „Liebe gewinnt“ an Anregungen mitzugeben hat.
„Komm mach den Fernseher aus
Und rutsch ‘was näher zu mir
Der ganze Wahnsinn bleibt heut’
Vor uns’rer Tür
Auch wenn es hoffnungslos scheint
Und die ganze Welt weint
Du hältst zu mir
Und wir beten dafür
Dass ‘n Wunder passiert
Und wir endlich kapieren
Dass wir alle gleich sind
Und nur die Liebe gewinnt.“
1. Es scheint hoffnungslos und die ganze Welt weint
Nach der Wende und dem kalten Krieg geboren, bin ich selbst in einer Welt aufgewachsen, die für mich sicher schien. Landesgrenzen waren offen, Europa geeint und ich konnte frei entscheiden, wo ich lebe, welchen Beruf ich erlernen möchte und wie ich mein Leben gestalte. Dies alles schien für mich selbstverständlich. So selbstverständlich, dass ich mir auch für das Leben meiner noch kleinen Tochter nichts anderes vorstellen konnte. Und jetzt? Jetzt scheint es, als ob diese Selbstverständlichkeiten wegbrechen. Plötzlich ist da wieder Krieg in Europa, extremistische Parteien gewinnen Wahlen in deutschen Bundesländern und Grenzen schließen sich. Es fühlt sich an wie ein Ende. Vielleicht nicht das Ende aller Dinge, aber das Ende einer Welt, wie ich sie kenne und liebe. Wenn ich mit anderen ins Gespräch komme oder mich auf social media umsehe, fühle ich mich mit meiner Hoffnungslosigkeit nicht alleine. Die ganze Welt scheint zu weinen.
2. Komm mach den Fernseher aus – und rück näher zu mir – Der ganze Wahnsinn bleibt heut‘ vor unserer Tür
Wenn Dinge, die wir wertschätzen, drohen verloren zu gehen, treten meistens Verlustängste hervor. Sie führen dazu, dass wir unbedingt an dem, was ist, festhalten wollen. Es ist leicht, sich von der Fülle an negativen Informationen überrollt zu fühlen, abzustumpfen und den Blick für den einzelnen Menschen zu verlieren. Die Gefahr ist groß, dass wir uns in unseren Ängsten und Sorgen so stark einigeln, dass wir nicht mehr auf andere achten – auf die, die um uns herum sind und unsere Hilfe brauchen. Dagegen hilft es manchmal nur noch, einen Schritt zurückzutreten und tief durchzuatmen. Den Fernseher ausschalten, um die Kapazität zur Reflektion zu haben. Besonnen sein. Welche Informationen sind gesichert? Wo drohen Fake News unsere Einschätzung fehlzuleiten? Welche Zukunftsperspektive gibt uns die Wissenschaft?
3. Und wir beten dafür
Das was wir wahrnehmen und das, was wir fühlen, hat einen Ort. Wir können es im Gebet vor Gott bringen. Beten ist kein passives Zurücklehnen. Es ist ein aktives Tun, ein Vor-Gott-Bringen dessen, was uns bewegt, was wir sehen, hören, denken und fühlen. Ein Gebet mag vermeintlich schwach erscheinen, aber es ist eine Form des Widerstands gegen die Ohnmacht. Es kann dabei helfen, die Schockstarre zu lösen. Ich werde dazu angeregt, aus meinem behaglichen Schneckenhaus herauszuschauen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Mit meinem Gebet stelle ich mich in eine Jahrtausend alte Tradition. Ich kann meine Sorgen und Ängste, meine Wut und Klage an jemanden loswerden, der es aushalten kann: An Gott. Wie so viele Betende zuvor, brauche ich nicht in der Hoffnungslosigkeit stecken zu bleiben. Ich habe noch jemanden, auf den ich hoffen kann.
4. Dass ‘n Wunder passiert – Und wir endlich kapieren – Dass wir alle gleich sind
Ich merke es an mir selber. Immer wieder Mal widerfährt es mir, bei meinem Gegenüber zuerst das zu bemerken, was uns unterscheidet. Eine andere religiöse Prägung – oder gar keine. Eine andere politische Vorstellung davon, wie die Probleme unseres Landes anzugehen sind oder eine Gleichgültigkeit aktuellen Themen gegenüber. Wir Menschen sind schnell darin, in “wir” und “die anderen” einzuteilen. Es fällt leicht, sich abzugrenzen, wenn jemand uns fremd erscheint. Dabei wird schnell übersehen, dass wir die wesentlichen Dinge mit anderen gemeinsamen haben: Wir sind Menschen, die mit anderen in Beziehung stehen. Lieben und geliebt werden. Von Familie, von Freund*innen, von Gott. Darin sind wir alle gleich. Vielleicht braucht es wirklich ein Wunder, das uns erkennen lässt, dass jede und jeder Einzelne von uns geliebt und gewollt ist.
Denn wenn wir begreifen, dass wir alle gleich und von Gott geliebt sind, dann wird diese Liebe unsere Handlungen prägen. Dann wird Gastfreundschaft selbstverständlich, und Nächstenliebe hört nicht an unseren Komfortzonen auf. In Zeiten von Unsicherheit und gesellschaftlicher Spaltung ist genau diese Form der Liebe als Gastfreundschaft ein Gegenentwurf zu Isolation und Abgrenzung. Sie ist die Bereitschaft, Menschen in das eigene Leben zu lassen, sich auf ihre Bedürfnisse einzustellen und sie mit dem zu unterstützen, was man geben kann.
5. Und nur die Liebe gewinnt
Die Welt um uns herum mag unsicherer werden. Es mag sich so anfühlen, als ob die Selbstverständlichkeiten wegbrechen. Aber genau in diesen Momenten können wir Halt finden – nicht in den äußeren Sicherheiten, sondern in der Gemeinschaft. In der Liebe mit der wir uns gegenseitig begegnen. Jesus Christus hat uns diese Liebe vorgelebt. Eine Liebe, mit der er auf Menschen zugegangen ist, die am Rande der Gesellschaft standen. Er hat diejenigen in den Blick genommen, die schnell übersehen werden. Er zeigt uns, wie wir miteinander umgehen können. Wir brauchen es nicht alleine zu tun, sondern miteinander. Damit wir gemeinsam die Kraft finden, in dieser veränderten Welt zu bestehen. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für die, die uns anvertraut sind. Und für die Welt um uns herum, die wir lieben und bewahren wollen. Denn nur die Liebe gewinnt.
Nicht immer ist es leicht, sich das vor Augen zu halten. Manchmal müssen wir uns bewusst machen, wie wir unseren Umgang miteinander gestalten wollen. Das ist kein neues Phänomen; schon die ersten christlichen Gemeinden brauchten immer wieder den Anstoß, sich daran zu erinnern, was in Krisenzeiten trägt: Dass sie einander haben und den Zuspruch Gottes. Früher waren es Briefe, die umhergingen, um den Menschen das ins Gedächtnis zu rufen. Diese Texte wurden so bedeutend, dass sie ihren Weg in die Bibel fanden. Der Predigttext stammt aus einem solchen Brief: 1. Petrus 4, 7-11. Ich stelle ihn diesmal ganz bewusst an das Ende meiner Predigt.
Nehmen Sie es mit als eine Art Zusammenfassung meiner Gedanken.
Das Ende aller Dinge ist nahe. Seid besonnen und bewahrt einen klaren Kopf, damit ihr beten könnt. Haltet vor allem mit Ausdauer an der Liebe zueinander fest! Denn die Liebe deckt viele Sünden zu. Seid gastfreundlich untereinander, ohne euch zu beklagen. Dient einander – jeder mit der Gabe, die er erhalten hat. So erweist ihr euch als gute Verwalter der Gnade, die Gott vielfältig schenkt. Wenn jemand in Gottes Auftrag redet, soll er nur das Wort Gottes weitergeben. Wenn jemand dient, soll er das aus der Kraft heraus tun, die Gott gibt. So soll in allem, was ihr sagt und tut, Gott durch Jesus Christus verherrlicht werden. Ihm gehören Herrlichkeit und Macht für immer und ewig. Amen. – 1. Petrus 4,7-11