Heute der Himmel auf Erden

Vor Monaten las ich erstmals die Jahreslosung für 2019:
„Suche den Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 31,15).

Klasse! – dachte ich: Ein Begleitwort nach meinem Geschmack. Als ich in den 80ern groß wurde, war das Haus meiner Eltern ein Netzwerkpunkt der Friedensbewegung. Auf unserem Gemeindegebiet lagerten Atomsprengköpfe für die Pershing II–Raketen. Wir waren bei Aktionen und Demos dabei. Einmal diskutierte ich in der Jugendtalkshow des WDR über Sinn und Unsinn von Tieffluggebieten. Denn täglich donnerten Tornados über unsere Dächer.
Beim großen NATO-Herbstmanöver rollten Panzer durch unseren Ort und bei der Klassenfahrt wohnten wir mitten im Schlussgefecht: Truppenhubschrauber landeten neben der Jugendherberge.

Nein, ich habe Gott sei Dank nie im Krieg gelebt. Aber der Krieg stand mir tagtäglich vor den Augen und in den Ohren. Die Suche nach Frieden war tägliches Thema.

Keine Militärkolonnen und Tiefflieger mehr
35 Jahre später überholten wir neulich einen Militärkonvoi und mein Sohn fragte: „Papa, was sind das da für grüne LKW?“ Ich merke, dass sich etwas verändert hat. So einen Konvoi hatte ich lange nicht mehr gesehen.

Ja, die Nachrichten sind wie eh und je gefüllt mit Krieg und Terror – aber auch das hat sich verändert. Kriegsmeldungen klingen jetzt so: „In Syrien sind heute sechs Soldaten und zwei Zivilisten getötet worden.“ Fällt uns das auf? Als unsere Großväter vor Stalingrad im Schützengraben starben, da wurden sie nicht mal gezählt. Heute gibt es Tage, da könnten wir die Namen der Kriegstoten im Fernsehen verlesen ohne das Programm umzustellen! Viel zu wenige, aber es gibt sie.

Statistiken zeigen, dass es nie so wenige kriegerische Konflikte, Kriegstote und Versehrte gab wie heute! Unsere Kinder kennen keinen Krieg – in Deutschland haben Generationen verlernt, Krieg zu führen. Ist das nicht ein Segen?! Ist das nicht Himmel auf Erden?!
Nein, der Himmel auf Erden ist es nicht. Noch immer sterben Menschen im Unfrieden. Trotzdem möchte ich mich freuen und dankbar sein, dass ich das erleben darf: Die friedlichste Zeit der Menschheitsgeschichte.

Wenn ich heute den Frieden suche, trete ich vor die Haustür. Ich stehe nicht mehr in Mahnwachen vor Munitionsdepots, lasse keine Luftballons gegen Tiefflieger steigen – und wenn ich mit Nena von 99 Luftballons singe, dann in reiner, ungetrübter Partylaune. Das ist schön!

Gewachsen aus angestrengtem Hoffen
Aber dieser Blick auf die Fülle von Frieden lässt uns selbstgefällig und achtlos werden. Das ist die Gefahr, in der wir Kinder der Friedensjahre leben.
Unser Frieden ist gewachsen aus angestrengtem Hoffen. Aus Versöhnungsarbeit. Aus hartnäckigem Beharren. Daraus, dass Menschen nicht aufgegeben haben, dem Frieden nachzujagen.
Als Christen, so meine ich, ist das unser Auftrag – und zwar heute nicht weniger als damals.

Wenn es doch heute Tage gibt, an denen nur noch rund 50 Menschen weltweit in Kriegen sterben – warum jetzt aufhören? So kurz vor dem Ziel?! Wie könnten wir nicht von dem Tag träumen, an dem es Null sind? Lasst uns für diesen Tag ringen.
Und wenn wir das schaffen und sehen, dass es geht – warum nicht die Woche, den Monat, das Jahr… die Zukunft?! Das ist der Traum, den ich leben möchte.

In manchen Filmen wurden Menschen belächelt, die für den Weltfrieden beten. Ich stehe dazu: Wenn ich dafür nicht bete, dann muss ich gar nicht beten. Ich glaube, dass es geht. Ich glaube, dass Gott uns Menschen mit der Möglichkeit zum Frieden geschaffen hat. Ich glaube, dass es sich lohnt, dem Frieden nachzujagen – auch, wenn wir ihn nicht mehr suchen müssen.
In diesem Sinne wünsche ich uns ein weiter friedensreich wachsendes neues Jahr 2019. Geben wir unser Bestes, so gibt Gott seins dazu. Suchet Frieden und jaget ihm nach!

Niko Herzner, Pfarrer