Gottes Güte neu entdeckt

“Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“ so beginnt ein Psalmgebet von Hanns Dieter Hüsch, das Sie auf der Rückseite unseres neuen Gemeindebriefes abgedruckt finden. Ich stelle mir vor, wie der Kabarettist Hüsch mit den Händen in den Hosentaschen, gut gelaunt durch sommerliche Straßen schlendert, vielleicht hat er gerade Urlaub und jubelt innerlich, Leichtigkeit und Freude schwingen mit, Erleichterung und Aufatmen.
Das Lebensgefühl zur Reformationszeit stelle ich mir da ganz anders vor: finsteres Mittelalter, Scheiterhaufen, auf denen Bücher brennen – und auch Menschen; Kriege, mit denen das Freiheitsstreben der kleinen Leute niedergeschlagen wird. Martin Luther selber war immer wieder von Zweifeln gequält, bestürzt über die Unordnung und Gewalt, die losbrachen, verzweifelt über Unverstand und Willkür. „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“, diesen Satz kann ich mir aus dem Mund des Reformators Luther kaum vorstellen. Und ich wundere mich, dass unsere Landeskirche gerade diesen Satz zum Motto der Reformationsfeierlichkeiten in diesem Jahr gemacht hat. Als ob dieser Satz das reformatorische Lebensgefühl widerspiegeln würde?
In der Gemeinde heute begegnen mir viele Menschen, die eher sagen würden: „Ich bin betrübt, belastet, gefangen.“ Viele Menschen segeln am Rande ihrer Kräfte, weil Krankheiten, Trennungen und Trauer, viele Anforderungen und Stress zur Überbelastung werden. Bei all dem „vergnügt“ sein zu wollen, singen und tanzen und lachen – ist das nicht arg oberflächlich und aufgesetzt?

Lösung liegt in der Tiefe des Gebets
Vielleicht liegt die Lösung gerade nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe dieses Gebetes.
Dreimal wird im weiteren Verlauf die Frage gestellt: „Was macht das“, dass ich fröhlich, furchtlos und unbeschwert bin? Wo kommt das her? Wie kann das sein? Trotz dunklen Tagen, trotz Elend und Verzagen?
Und die Antwort lautet: „Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen.“
Der Geist Gottes erfasst Menschen und macht sie innerlich gewiss: „Gott ist da, meine Zeit liegt in seinen Händen, Gott trägt mich durchs Leben.“
Wo dieser Geist weht, erscheint das Leben in einem neuen Licht: ich kann Last abgeben und darauf vertrauen, dass Gott hilft und trägt. Ich darf klagen und bitten, Hilfe annehmen. Ich muss nicht alles alleine schaffen, ich bin Mensch, Sünder, Unvollkommene, Begrenzter – und genauso menschlich wie ich bin, bin ich geliebt!

In der Reformationszeit Gottes Güte neu entdeckt
Dieses Vertrauen passt gut in die Reformationszeit: In der Theologie wurde die Barmherzigkeit und Güte Gottes neu entdeckt. In der persönlichen Glaubensbeziehung kann sich jeder Christenmensch direkt an Gott wenden und von ihm Gnade erwarten. Der Heilige Geist, der unser Vertrauen in die Gegenwart Gottes stärkt, erfüllt Menschen mit Mut und Lebensfreude – auch an vielen dunklen Tagen.

So hat Martin Luther im Sommer 1525 Hochzeit gefeiert, während die Bauernkriege tobten. Die Ehe mit Katharina von Bora war eine bewusste Entscheidung, eine Demonstration von Freiheit und Vertrauen: „Deshalb will ich ihm zum Trotz meine Käthe noch zur Ehe nehmen, ehe ich denn sterbe. Ich lasse mir doch nicht meinen Mut und meine Freude nehmen“, schreibt Luther in einem Brief an einen Freund. Angesichts von Endzeitstimmung und Angst trägt Luther einen anderen Geist in sich, der die Lebensfreude und den Mut bestärkt.
2017 – wir feiern 500 Jahre Reformation! Nein, es ist längst noch nicht alle Welt von dem Bösen erlöst und auch nicht die Kirche und auch nicht mein je persönliches Leben. Aber der Geist ist da. Wir wissen darum, dass Gott am Werk ist.
Wir vertrauen darauf, dass Gott unser Leben, seine Kirche diese ganze Welt heilt und erlöst.
Und wenn wir diese Hoffnung feiern und uns Gottes Gegenwart zu Herzen nehmen, dann zuckt vielleicht doch etwas Fröhlichkeit in unseren Mundwinkeln oder in den Füßen: „Gott nahm in seine Hände unsere Zeit.“ Wir haben Grund zur Freude.

Ihre Pfarrerin Antje Bertenrath