Das letzte Wort, hat immer Gott.

Liebe Gemeinde,

der Predigttext, welcher für den heutigen Sonntag vorgeschlagen ist, nimmt uns mit auf eine Reise. Eine Wanderung. Lassen Sie uns die Wanderenden gedanklich auf ihrem Weg zu begleiten.

Unsere Wanderung beginnt an einem frühen Morgen. Wohin es gehen wird, das wissen wir nicht so genau.

Der Mann, den wir begleiten, ein gläubiger, frommer Mann, der mit seinem Gott schon so Einiges erlebt hat. Schönes und Schweres. Dieser Mann hat von Gott die Anweisung erhalten sich auf den Weg zu machen. Und das tut er.

Gemeinsam mit seinem Sohn und zwei Knechten. Und da davon auszugehen ist, dass der Fußmarsch mehrere Tage dauern wird, sind alle Wanderer und auch der Esel, den sie mit sich führen, schwer beladen. Sogar Brennholz tragen sie mit sich.

Und so gehen sie nun nebeneinander her. Schweigend. Ein jeder seine Last tragend und mit den eigenen Gedanken beschäftigt.

Drei Tage sind sie nun schon unterwegs, da erblickt der Mann in der Ferner einen Berg und er weiß sofort, dass dieser Berg das Ziel ihrer Reise ist.

Wow! Endlich! Drei Tage Fußmarsch und jetzt ist das Ziel zum greifen nah! Wenn das kein Grund zur Freude ist! Jeder, der schon einmal eine längere Wanderung unternommen hat weiß, wie großartig es sich anfühlt, endlich das Ziel vor Augen zu haben. Es versetzt einem noch einen letzten Energieschub und gibt den nötigen Antrieb für die letzten Kilometer.

Doch hier, bei unserer Wandergruppe scheint es sich anders zu verhalten. Von Freude, Leichtigkeit, einem beflügeltem „Dem – Ziel – Entgegeneilen“ steht im Text nichts geschrieben.

Die Stimmung wirkt eher verhalten. Nüchtern und abgeklärt.

Der Vater gibt nun klare Anweisungen, was zu tun ist. Er und sein Sohn werden den Berg allein besteigen um oben am Gipfel den Herrn anzubeten.

Er lädt seinem Sohn das Brennholz auf die Schultern, nimmt Feuer und Messer mit sich und macht sich gemeinsam mit dem Jungen auf den Weg. Die beiden Knechte und der Esel bleiben zurück.

Wieder gehen sie ihren Weg im Schweigen. Kilometer um Kilometer. Plötzlich durchbricht die Frage des Sohnes nach dem Verbleib des Brandopfers für einen Moment die Stille, doch der Vater antwortet nur knapp: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“

Der Vater weiß mehr, als der Sohn. Und auch wir wissen mehr, denn wahrscheinlich haben Sie es längst erkannt, wen wir hier begleiten. Es ist Abraham mit seinem Sohn Issak. Und die beiden gehen diesen Weg, weil Abraham von Gott den Auftrag erhalten, ihm seinen Sohn als Brandopfer zu bringen.

Und nun ist klar, warum Abraham so wortkarg ist. Warum die Knechte nicht mit auf den Berg dürfen. Warum die beiden Männer ihrem Ziel nicht freudig entgegeneilen.

Allein beim Lesen der Erzählung, beim „Uns – Hineindenken“ in die Situation, können wir die Anspannung beinahe greifen, die da in der Luft liegt.

Abraham, dem es mit jedem Meter, den er weiter an diesen Berg herankommt, das Herz immer mehr zerreißt und den Magen umdreht und Isaak, der ganz genau spürt, dass da etwas nicht stimmt, auch, wenn er es nicht in Worte fassen kann und ihm das Ausmaß der ganzen Sache natürlich nicht bewusst ist.

Wie grausam müssen diese letzten Meter für Abraham sein. Wie kalt und trostlos die Atmosphäre zwischen den beiden.

Und dann sind sie angekommen. Alles Hinauszögern, jeder noch so langsame Schritt, haben es nicht verhindern können – das Erreichen des göttlichen Bestimmungsortes.

Wie in Trance, zumindest stelle ich es mir so vor, baut Abraham nun einen Altar, schichtet das Holz auf und legt seinen Sohn oben drauf. Ob Isaak sich wehrt, ob er schreit, flucht, fleht, oder ob er in Schockstarre alles über sich ergehen lässt, davon berichtet uns der Text nichts.

Deutlich wird aber, dass Abraham das scheinbar Unumgängliche, nämlich seinen eigenen Sohn zu töten, bis zur letzten Sekunde hinauszögert. Üblicherweise schlachtete man das Opfertier bevor es auf den Altar gelegt wurde. Abraham aber bindet Isaak zunächst nur Arme und Beine fest am Köper zusammen und legt ihn, noch lebend, auf den Altar. Für Abraham verzögert es den wohl schlimmsten Moment seines Lebens, für Isaak verlängert es, die schier unerträglichen Qualen.

Doch irgendwann sind auch die letzten Vorbereitungen für das Brandopfer getroffen und für Abraham gibt es nichts anderes mehr zu tun, als sein Messer zu nehmen, es über seinem Sohn zu erheben und…

…plötzlich zu hören, wie der Engel des HERRN zu ihm ruft: „Abraham! Abraham! Lege Deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass Du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“

Phuuu. Das war knapp! Und nun? Stellt sich jetzt Erleichterung ein, fallen sich Vater und Sohn in die Arme, freuen sich, dass alles nochmal gut gegangen ist und treten im wahrsten Sinne des Wortes „vergnügt, erlöst, befreit“, den Heimweg an?

So genau erfahren wir das nicht. Der Text berichtet noch davon, dass Abraham einen  Widder im Gestrüpp entdeckt, welchen er Gott als Brandopfer darbringt und dass er die Stätte, an welcher all das geschah „Der HERR sieht“ nennt. Außerdem spricht auch der Engel des HERRN erneut zu Abraham und versichert ihm: „Weil Du solches getan hast will ich Dich segnen und Deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres. Und durch Deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil Du meiner Stimme gehorcht hast.“

Dann endet die Erzählung über Abraham und seinen Sohn Isaak.

Es gibt wohl kaum jemanden, dem diese Geschichte keine Probleme bereitet. Auch in der Theologie wurde sie immer und immer wieder diskutiert, auseinandergenommen und hinterfragt. Es gibt zahlreiche Deutungsversuche und vieles davon erscheint logisch und ist durchaus denkbar.

Ja, es kann sein, das Abraham Gott falsch verstanden hat. Es kann sein, dass Abraham, ähnlich wie Hiob, versucht wurde. Es kann sein, dass die Erzählung bereits auf Jesus hindeuten soll, der sein Kreuz, genau wie Isaak das Holz, bis zum Ort seiner Opferung selbst schleppen musste.

Doch das alles sind Deutungsansätze, die versuchen der Geschichte ein wenig den Schrecken zu nehmen und sie in gewisser Weise auch „weichspülen“. Aber ich möchte heute nicht weichspülen. Nein, ich möchte auch nicht an einen Gott glauben, der von mir als Vertrauensbeweis mein Kind fordert und ich bin überzeugt davon, dass Gott so etwas nicht nötig hat, denn Gott braucht keine Opfer! Doch ich weiß, und Sie wissen es auch, mit Gott haben wir es nicht immer leicht. Denn auch mit und im Vertrauen auf ihn, passieren immer wieder Dinge, die wir ertragen und aushalten müssen.

Und genau deswegen möchte ich diese Geschichte lesen und verstehen, so wie sie da steht. Schmerzhaft. Radikal. Schwer auszuhalten. Aber nicht hoffnungslos. So, wie das Leben selbst.

Familien zerbrechen. Nahestehende Menschen sterben. Existenzen werden bedroht oder gar zerstört. Die Armut, Not und das Leid der Welt sind täglich in den Medien präsent. All das und anderes mehr, stellt unser Vertrauen in Gott auf die Probe.

Und Gott lässt all das geschehen. Mutet uns das zu. Lässt uns manchmal bis an den Rand unserer Kräfte, Hoffnung und Geduld und ja, auch an die Grenzen unseres Glaubens gehen. Und da stehen wir dann, mit all unseren Fragen, Zweifeln und Ängsten.

Was soll das?

Warum das alles?

Wozu?

Wo bist Du, Gott?

Ich bin sicher, auch Abraham hat das gefragt. Gebrüllt haben wird er es innerlich. Und Gott hat es gehört. Ganz bestimmt.

Bei Abraham kommt es nicht zum Äußersten. Isaak überlebt. Beide kehren gemeinsam nach Hause zurück und von da an scheint es ruhiger in Abrahams Leben zu werden.

Alles nochmal gut gegangen, also? Vielleicht kann man das so sagen, ja. Immerhin hat Gott sein Versprechen eingelöst und Abraham mit vielen Nachkommen gesegnet. Aber was mögen all diese Erfahrungen und im Speziellen die, von der wir heute gehört haben, mit Abraham gemacht haben? Welche Spuren hat das hinterlassen? Welche Spuren hinterlassen derartige „Grenzerfahrungen“ bei uns?

Der dänische Theologe Sören Kierkegaard sagte einmal über diese biblische Geschichte, die auch ihn im Laufe seines Lebens immer wieder beschäftigt hat: „Von dem Tage an war Abraham alt; er konnte nicht vergessen, dass Gott solches von ihm gefordert hatte. Isaak gedieh wie vordem; Abrahams Augen aber waren verdunkelt, er sah die Freude nicht mehr.”

Das klingt tragisch, birgt aber, wie ich finde, viel Wahres. Denn ganz gleich, wie stark wir auch Gottes Bewahrung in jeglicher Bedrängnis erfahren haben und egal, wie oft die Dinge am Ende irgendwie doch noch „gut“ ausgegangen sind: Alles was wir in unserem Leben durchmachen, hinterlässt Spuren und verändert uns.

Wir gehen nicht daran zu Grunde. Wir verlieren nicht unseren Lebensmut, nicht unseren Glauben, aber wir sind gezeichnet. Vielleicht gehen wir nicht mehr so unbeschwert durchs Leben, vielleicht ist unser Lachen nicht mehr so hell und klar wie früher, vielleicht brauchen wir länger, um uns einem Menschen zu öffnen. Alles, was wir in unserem Leben durchmachen prägt uns und unsere Geschichte mit Gott.

So ist es auch Abraham ergangen. Was er erlebt hatte, ist nicht spurlos an ihm vorrübergegangen. Es hat ihn, sein Leben und sein Verhältnis zu Gott verändert. Doch es hat ihn nicht gebrochen. Denn Gott hat ihn zu keiner Stunde seines Lebens allein gelassen. Er hat ihm vieles zugemutet, ja. Aber er hat auch gesehen, was Abraham aushalten und ertragen musste. Und das wusste Abraham.

„Der HERR sieht“, so nennt er die Stelle, an der Isaak geopfert werden sollte. Und das ist die Schlüsselstelle der Geschichte. Wir haben Abraham auf seiner Wanderung begleitet und Gott hat das auch getan. Auch, wenn es zwischenzeitlich nicht wirklich danach aussah. Doch Gott hat gesehen, was Abraham da durch macht. Wie schwer ihm dieser Weg fällt und welche inneren Qualen er durchzustehen hat.

Das „Sehen Gottes“ ist der Beginn seines Eingreifens und Handelns. Hier nimmt die Erzählung ihre heilvolle Wende. Damit wird nicht alles gut und es wird auch nicht ungeschehen, was bisher alles passierte, aber nun verändert sich etwas. Die Dinge bekommen eine neue, eine gute Richtung.

Darauf dürfen auch wir vertrauen: Wir werden von Gott gesehen. Und zwar nicht nur mal so eben im Vorrübergehen. Nein, Gott nimmt uns wahr. Uns gebührt seine ganze Aufmerksamkeit. Er ist berührt, emotional betroffen von dem, was uns wiederfährt und er will unsere Leben verändern, es in eine gute Richtung lenken.  Unser Gott ist kein ferner Gott. Unser Gott kennt Trauer, Einsamkeit, Hilflosigkeit und Angst. Denn unser Gott war selbst Mensch und hat Leid nicht nur gesehen, sondern es selbst durchlebt. Für uns.

Ja, er mutet uns so manches zu, schickt uns auf Wanderungen, die uns an unsere Grenzen bringen, aber er lässt uns dabei nie im Stich. Ständig hat er uns im Blick. Sieht uns. Und er kann auch in letzter Sekunde noch Dinge abwenden, die bis dahin unumgänglich erscheinen. Denn ganz egal was wir auch tun: Das letzte Wort hat immer Gott.

Diese Predigt hielt Jenny Gechert

am 02.04.2017

in der Christuskirche Hennef.