Christi Liebe bewegt in Karlsruhe
Derzeit tagt die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Stefan Heinemann war in Karlsruhe, um Ökumene-Luft zu schnuppern.
“Sagt es Eurem Bischof! Sagt es jedem Delegierten hier: Wir wollen Klimagerechtigkeit JETZT!” Vor dem Eingang zum Tagungsgelände stehen etwa hundert junge Erwachsene, die als Jugenddelegierte und Stewards an der ÖRK-Vollversammlung teilnehmen. Sie demonstrieren lautstark. Ihre Forderungen klingen sehr pauschal. Doch immer wieder tritt eine junge Person ans Mikrofon, um zu erzählen, was Dürre, Überschwemmungen und Wetterextreme bei ihr zu Hause anrichten – im Libanon, in Botswana und Sri Lanka.
„Ich war schon auf vielen Klimademos. Aber diese war besonders“, schreibt Anna Nicole Heinrich, Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, später auf Instagram. Denn, so die 26jährige, „es war etwas völlig anderes, hier bei jedem angesprochenen Thema die Resonanz der Betroffenen direkt in der Menge zu spüren.“
Betroffenheit direkt spüren
Es ist das, was die Delegierten nach neun Jahren wieder in Karlsruhe zusammenführt: Als Geschwister aneinander Anteil nehmen, hören wie es anderen geht und sich gemeinsam von der Liebe Christi leiten zu lassen.
Unter dem Motto „Christi Liebe bewegt, versöhnt und eint die Welt“ haben sich die 850 Delegierten aus 350 Mitgliedskirchen versammelt – dazu kommen Beobachter, Gäste und Besucher. In Summe etwa 10.000 Christinnen und Christen aus aller Herren Länder.
Ein Kontinent in seiner Zerrissenheit
Karlsruhe als Tagungsort in Europa – das war eine bewusste Wahl. Und der Kontinent präsentiert sich den Delegierten in all seiner Zerrissenheit, wenn Demonstranten von den Delegierten Solidarität mit der Ukraine einfordern.
„Wie kann das passieren in Europa in 2022?“ fragt Jørgen Sørensen das Plenum. Der Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen beantwortet seine Frage selbst: „Weil wir gebrochene Menschen sind. Die Kirche ist keine Gemeinschaft besonders guter Menschen – auch nicht besonders schlechter Menschen. Aber es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich bewegen lassen von der Liebe Christi. Dazu ermutigen wir einander über alle Grenzen hinweg.“
Die Forderung im Vorfeld, die Delegation der russisch-orthodoxen Kirche auszuladen, weil sich der Moskauer Patriarch Kyrill nicht vom Angriffskrieg des Kremls distanziere, hatte der ÖRK abgewiesen.
„Es wäre einfach, auszugrenzen, aus der Gemeinschaft auszuschließen und zu verteufeln, aber wir sind als ÖRK aufgerufen, eine freie und sichere Plattform der Begegnung und des Dialogs bereitzustellen, auch wenn wir einmal nicht einer Meinung sind“, hielt ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca dem entgegen.
Uneinigkeiten verhindern nicht
Deshalb nimmt das Programm der Versammlung, die zuletzt 2013 in Busan, Korea getagt hatte, unübersichtlich viele Themen in den Blick. Denn auch über die Nahrungsmittelkrise, Fragen der Sexualethik und Antisemitismusvorwürfe gibt es ein weites Spektrum an Meinungen. Der ‚Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens‘ seit 2013 habe jedoch gezeigt, so Sauca, „dass die verbleibenden Uneinigkeiten in Bezug auf Lehrfragen und ethische Fragen zwar wichtig sind, eine umfassendere Zusammenarbeit und tiefere Gemeinschaft in Christus aber nicht verhindern sollten”.
Neuer Schwung für die Ökumene?
Dass die Vollversammlung aber der Ökumene in Deutschland neuen Schwung verleihen wird, darf bezweifelt werden. In Karlsruhe sind die Workshops für Gäste außerhalb des Tagungsgeländes schwach besucht, an den Übertragungsorten des Livestreams bleiben die Reihen leer und die großen Medien im Land berichten – außerhalb der Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – kaum über das ökumenische Großereignis. Das ist schade – schon weil es die Chance vergibt, von Menschen aus aller Welt einmal als Betroffene selbst zu hören.