Cakir-Mattner: Es geht um Beheimatung!

Zum Abschluss der dreiteiligen Vortragsreihe „Kirche und Religion – in Zukunft relevant?“ bezog am letzten Mittwoch, 6. April, die Islamwissenschaftlerin Naime Cakir-Mattner Position in der Hennefer Christuskirche. Zur Integration der Muslime in Deutschland kam die Gießener Professorin zu einem insgesamt positiven Urteil. Auch die Beziehung der islamischen Religionsgemeinschaft zum Staat bewertete sie überraschend optimistisch.

Seit zwei Jahren ist Naime Cakir-Mattner Professorin für islamische Theologie und muslimische Lebensgestaltung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Allein schon, dass es diese Stelle gibt, zeigt die Fortschritte bei der Integration muslimischer Zuwanderer in Deutschland. Als die Migration vor rund fünfzig Jahren begann, sah die Situation völlig anders aus: Die so genannten ‚Gastarbeiter‘ – vor allem aus der Türkei – und die deutsche Gesellschaft gingen davon aus, dass die angeworbenen Arbeitskräfte in ihr Herkunftsland zurückkehren würden. Das hat sich nicht bestätigt, denn etwa jeder vierte ‚Gastarbeiter‘ blieb in Deutschland. Dennoch lebte dieser Mythos lange fort, so Cakir-Mattner – sowohl auf Seiten von Staat und Gesellschaft als auch bei den Migranten. Erst mit Beginn der 2000er habe sich der Blick verändert.

In den vergangenen Jahren habe sich jedoch in vielen Ländern Europas ein „de-kulturierter“ Islam unter dem sozialen und gesellschaftlichen Einfluss der Aufnahmegesellschaft entwickelt. Cakir-Mattner spielte damit auf den so genannten „Euro-Islam“ an, der bei den hier lebenden Moslems eine Neuinterpretation ihrer Religion möglich gemacht habe. Mittlerweile stellt die muslimische Gemeinschaft in Deutschland 6,4 – 6,7 % der Bevölkerung – Tendenz steigend.

Islamische Community als Schutzraum

Trotzdem sei es zunächst für die Zuwanderer und den Staat kompliziert gewesen, ein Verhältnis zueinander zu finden. Denn der Islam sei traditionell nicht in Großorganisationen – ähnlich den Kirchen organisiert – sondern eine stark individuell geprägte Religion. Und so brachten die Zuwanderer ihre eigene religiöse Praxis mit, die zunächst auch nicht angepasst wurde, berichtete die islamische Theologin. Geprägt durch den Minderheitenstatus und die Marginalisierung sei der Islam auch damals eine Ressource für Sinn und Orientierung gewesen. Die islamische Community habe Netzwerke und einen Schutzraum geboten.

Erst seit 2000 werde die Rolle des Islam und der islamischen Gemeinschaft in Deutschland neu verhandelt. Dabei ging und geht es nicht nur um eine juristische Gleichstellung, sondern auch um eine mentale Frage für die Deutsch-Türken und andere Moslems. „Es geht um Beheimatung“, so Cakir-Mattner. Es gehe aber auch um den Zugang zu Ressourcen, um Moscheenbau und um Sicherheit in der Religionsausübung vom Tragen eines Kopftuchs bis zum Schächten von Tieren. Und nicht zuletzt gehe es um einen islamischen Religionsunterricht. „All dies drückt sich in dem Ruf aus: Wir sind hier“, betonte die Professorin. Doch noch immer seien die meisten islamischen Organisationen keine Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie etwa die Kirchen.

Beiden Ländern zugehörig

Dennoch sieht Cakir-Mattner deutliche Integrations-Fortschritte: „In den vergangenen Jahren sind wir weit vorangekommen.“ Dazu beigetragen hätten die Reform des Staatangehörigkeitsrechts und des Zuwanderungsgesetztes, die Integrationsgipfel seit 2006, die Gründung des Koordinierungsrates der Muslime ein Jahr später oder auch des Zentralrates der Muslime in Deutschland. Und so sei es künftig möglich, Religionslehrer auszubilden und eine islamische Seelsorge und Wohlfahrt zu organisieren.

Cakir-Mattner unterstrich ihre positive Bilanz – bei allen Problemen, die es weiterhin im Alltag gebe – mit einer Umfrage. Danach sehen sich 80 Prozent aller Deutsch-Türken beiden Ländern zugehörig. Gerade die „Neo-Religiösen“ machten dies deutlich. Diese sozialen Aufsteiger werteten islamische Spiritualität, Formen und Riten für sich ganz neu. Und nicht zuletzt habe der deutsche Staat ein positives Verhältnis zu Religion. Er sehe in der Religion eine Säule der Gesellschaft.

Der Vortrag von Prof. Dr. Cakir-Mattner war der letzte von drei Vorträgen in der Passionszeit in der Hennefer Christuskirche, die fragten: Welche Rolle werden Religion und reflektierte Spiritualität in unserer Gesellschaft zukünftig spielen?

Einen Blick aus kirchleitender Position warf Präses Dr. Thorsten Latzel (EKiR) am Mittwoch, 9. März, auf die Problematik. Eine politische Perspektive gab MdL Björn Franken (CDU) am Dienstag, 22. März.

Berichte zu beiden Vorträgen finden Sie auf unserer Homepage und Videoaufzeichnungen auf unserem Youtube-Kanal „Evangelisch in Hennef“.

Text: Martin Heiermann