Brich mit den Hungrigen Dein Brot

Liebe Gemeinde,

neulich stand ich an der Theke einer hiesigen Bäckerei und wartete darauf bedient zu werden. Einige Tage zuvor hatte ich gerade damit begonnen, mich mit dem Thema des heutigen Sonntags auseinanderzusetzen, und besonders der erste Satz des Bibeltextes: „Brich mit den Hungrigen Dein Brot.“ Ging mir noch im Kopf herum. Während ich also da stand und wartete entdeckte ich hinter der Theke ein Plakat mit folgendem Slogan: „Brot ist der billigste Luxus, den sich jeder leisten kann.“ – Na dann ist ja alles prima! Dann muss ich mein Brot ja gar nicht teilen. Denn wenn`s so billig ist, dass es sich jeder leisten kann, dann hat ja auch niemand Hunger und ist auf mein Brot angewiesen. Wunderbar! Glück gehabt!

Ich hoffe Sie hören die Ironie, die in meinen Worten steckt. Ich will Ihnen sagen was ich in diesem Moment wirklich gedacht und gefühlt habe: Ich war in erster Linie verärgert und wunderte mich darüber, wie eine Bäckerei mit einem solchen Slogan werben kann.

Weltweit gibt es 795 Millionen hungernder Menschen. Im Schnitt geht jeder neunte Mensch abends hungrig in´s Bett. Darunter viele Kinder. Natürlich, hier bei uns, in unseren Breiten, bekommen wir davon nicht so viel mit und Deutschland zählt, Gott sein Dank, nicht zu den Ländern, in denen Hunger ein Problem darstellt, aber trotzdem gibt es auch in unserem Land, in unsere Stadt, Menschen, die sich das frische Brot vom Bäcker nicht leisten können.

Familien, bei denen das Konto zur Monatsmitte schon wieder auf 0 steht. Alleinstehende, die Job und Wohnung verloren haben. Alte Menschen, deren Renten so gering sind, dass jeder Cent zweimal umgedreht werden muss. Und für all diese Menschen muss der zitierte Satz doch ein Schlag in´s Gesicht sein. Eine Demütigung.

Ich denke mir, das kann nicht sein! Das kann ich so nicht stehen lassen. Meine Gedanken kehren zurück zum Bibeltext des heutigen Sonntags. Zuhause lese ich noch einmal nach. Jesaja sieht die Sache ganz anderes. Vermutlich hätte er sich auch über dieses Plakat und seine Aufschrift geärgert.

Im 58. Kapitel schreibt er in den Versen 7-12:

7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.

9 Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,

10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.

11 Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

Diese Worte berühren mich ähnlich stark wie der Werbespruch, aber auf ganz andere Art und Weise. Sie verwirren mich nicht, sondern leuchten mir ein. Ich entwickle keine innere Ablehnung, sondern empfinde Zustimmung. Sie verärgern mich nicht, sondern sie stimmen mich nachdenklich. Denn mir wird klar: Hier geht es um mich. Ich werde angesprochen. Ich bin gemeint.

Es geht um mein Brot. Mein Haus. Meine Kleidung. Mein Verhalten gegenüber anderen. Hier werde ich in die Verantwortung genommen. In die Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen. Meinen Nächsten, denen es schlechter geht als mir. Denen es an etwas mangelt. Sei es an Nahrung, Kleidung oder auch „nur“ an sozialen Kontakten. Jetzt bin ich gefragt!

Und nun bin ich doch peinlich berührt. Fast fühle ich mich ein wenig ertappt. Ertappt dabei, wie ich zwar um die Not in der Welt und eben auch in meiner Umgebung weiß, aber nicht aktiv etwas dagegen tue. Mir geht es gut. Ich habe alles, was ich zum leben brauche und kann mich wirklich nicht beklagen. Und doch bleibt da immer eine gewisse Restangst, am Ende doch nicht gut genug dazustehen. Plötzlich weniger zu haben als vorher. Auf etwas verzichten zu müssen, das mir unverzichtbar scheint.

Ja, auch wenn ich immer die besten Absichten habe und wirklich gewillt bin zu helfen. Zu teilen und abzugeben von dem, was ich habe, so schlummert in mir doch immer auch der kleine Kornbauer, der seine Vorräte immer weiter aufstocken möchte um auf Nummer sicher zu gehen. Denn keiner weiß was die Zukunft bringt. Und was soll aus mir werden, wenn ich jetzt Dinge verschenke, die ich später vielleicht selbst noch dringend gebrauchen kann?

Ja, meine menschlichen Schwächen holen mich doch allzu oft und allzu schnell wieder ein. Dabei sind meine Sorgen vollkommen unbegründet. Denn glaubt man dem Text, so kann ich darauf vertrauen, dass mir, wenn ich Gutes tue, auch Gutes widerfahren wird:

8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.

9 Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

11 Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Ich habe also wirklich nichts zu befürchten. Denn für mich ist gesorgt. Gott sorgt für mich.

Und er verlangt dafür nicht viel. Er will nicht, dass ich zum Dank vor ihm auf die Knie falle. Ich muss ihm kein Dankopfer bringen und brauche mich auch nicht in Verzicht zu üben. Alles, was Gott von mir fordert ist, dass ich mit anderen teile, was ich aus seiner Hand empfangen habe. Das ich nicht raffe, horte und mich allein um mein Auskommen sorge, sondern das ich abgebe und darauf vertraue, dass ich trotzdem immer genug haben werde.

Und auch wenn wir uns vielleicht immer wieder schwer damit tun und dieses „leichtfertige/leichtfüßige Leben“ nicht unserer Mentalität entspricht – wir haben nun einmal gerne Pläne, Sicherheiten, Auffangnetze und doppelte Böden um uns herum und unter den Füßen – so ist es nie zu spät damit anzufangen und es immer wieder zu versuchen. In ganz kleinen Schritten.

Mit meinen Konfis habe ich genau das gemacht. Wir haben uns das Erntedankfest zum Anlass genommen um einmal zu überlegen, was wir besonders gern mögen und wofür wir dankbar sind es zu haben. In der nächsten Stunde hat dann jeder und jede die wollte diese Sache mitgebracht und nun liegen sie als Lebensmittelspenden mit hier vorn am Altar. Das war gar nicht viel Aufwand, tat keinem von uns weh und hat auch nicht allzu viel Überwindung gekostet. Aber es ist ein Anfang und ein Beitrag dazu, dass es anderen Menschen besser geht. Das es in ihrem Leben etwas heller wird.

Meine Freundin hat mir neulich erzählt, dass sie mit ihren Kindern morgens immer betet, dass sie für Jesus leuchten wollen und dass es ihr ein Anliegen ist, die Kinder so zu erziehen, dass sie etwas Licht in unsere Welt tragen. Das finde ich einen sehr schönen und lohnenswerten Gedanken und ich glaube, es ist genau das, was sich hinter dem Bibeltext verbirgt. Durch unser Leben, unseren Umgang mit anderen, können wir es im Leben von anderen hell werden lassen. Wir können Leid lindern, wo es am Nötigsten fehlt. Wir können Zuflucht sein für den, der sich verlaufen hat. Wir können Trost und Hoffnung spenden, wo die Traurigkeit regiert. Und unser Einsatz wird sich immer lohnen. Auch, wenn wir es auf den ersten Blick vielleicht nicht meinen. Vielleicht kommt manche Veränderung, die wir durch unser Tun anstoßen nur langsam voran. So wie die Morgenröte, die das Dunkel der Nacht ja auch nicht mit einem Schlag wegpustet, sondern ganz langsam Licht in die Welt bringt. Auch manche Wunde wir nur langsam heilen und eine Narbe wird noch lange an sie erinnern. Aber sie wird heilen. Und wir werden merken: Auf unserem Einsatz liegt Segen und das Licht, das wir in das Leben anderer bringen, wird auch in unsere Leben zurückstrahlen.

Also fangen wir an. Heute noch. Denn vielleicht ist Brot nicht der billigste Luxus, den sich jeder leisten kann, aber durch unseren Einsatz kann es zu dem Luxus werden, in dessen Genuss jeder kommen kann.

Predigt gehalten am 01.10.17

von Prädikantin Jenny Gechert