“Aber ich bin ja schon da!”

Liebe Gemeinde,
na, hat es Sie schon gepackt? Das Adventsfieber? Sind sie schon infiziert vom Drang zu Hause alles auf Hochglanz zu bringen, mindestens acht verschiedene Sorten Plätzchen zu backen, ein Festtagsmenü vom Allerfeinsten zu planen und jedem Geschenk noch eine handgeschriebene, selbst gebastelte Karte beizulegen.
Es ist doch so: Im Advent, da muss irgendwie alles noch ein bisschen perfekter und besser sein als sonst.
Im Advent, da schnellen unsere Erwartungen in die Höhe und das Eskalationsrisiko steigt zunehmend, je näher der 24.12. rückt.
Warum machen wir das? Was treibt uns dazu an? „Na, es ist Weihnachten!“ Aha. Okay.
An Weihnachten feiern wir Jesu Geburt. Das heißt, wir backen Plätzchen und putzen unser Haus, damit es Jesus schön hat? Und was, wenn er keine Kekse mag?
Sie merken, ich provoziere. Aber lassen Sie uns ehrlich seien: Das alles machen wir doch nicht für Gott. Das machen wir für uns. Oder putz einer von Ihnen hier das Haus, damit Gott sich darin wohlfühlt?
Dazu fällt mir folgende Geschichte ein:
Ein Mann erfuhr, dass Gott zu ihm kommen wollte. „Zu mir?“ schrie er. „In mein Haus?“ Er rannte durch alle Zimmer, er kletterte zum Dachboden hinauf, er stieg in den Keller hinunter. „Unmöglich!“ schrie er. „Hier kann ich keinen Besuch empfangen. Alles voller Gerümpel. Kein Platz zum Ausruhen.“ Er riss Fenster und Türen auf. „Brüder! Freunde!“ rief er. „Helft mir aufräumen – irgendeiner! Aber schnell!“ Er begann, sein Haus zu kehren. Durch Staubwolken sah er, dass ihm einer zur Hilfe gekommen war. Sie schleppten das Gerümpel vors Haus, schlugen es klein und verbrannten es. Sie schrubbten Stiegen und Böden. Sie brauchten viele Kübel Wasser, um die Fenster zu putzen. „Das schaffen wir nie!“ schnaufte der Mann. „Das schaffen wir!“ sagte der andere. Als es Abend geworden war, gingen sie in die Küche und deckten den Tisch. „So“, sagte der Mann, „jetzt kann er kommen, mein Besuch! Jetzt kann Gott kommen. Wo er nur bleibt?“ „Aber ich bin ja da!“ sagte der andere und setzte sich an den Tisch. „Komm und iss mit mir!“
Für mich ist diese Geschichte eine Adventsgeschichte.
Advent. Das heißt Warten. Warten darauf, das Gott kommt.
Doch wir warten nicht geduldig. In Ruhe und mit stiller Vorfreude. Sondern in den aller meisten Fällen voller Stress und Hektik.
Diese Geschichte aber macht deutlich: Für Gott spielt es keine Rolle, ob wir Staub gewischt und den Boden gebohnert haben. Er kommt nicht erst, wenn alles aufgeräumt und sortiert ist. Er schon da. Die ganze Zeit. Aber wir nehmen ihn nicht wahr. Weil wir so beschäftigt sind. Weil wir glauben, immer noch ein bisschen mehr machen zu müssen. Um mithalten zu können mit der aufwendigen Deko der Nachbarin, den so perfekt erscheinenden Instagramfotos der Kollegen und all den weihnachtlichen Klischees, die uns in Werbung oder Liedern vermittelt werden. Und so hetzen wir uns ab, strapazieren unsere Nerven, sind von allem, was in den vergangen 11 Monaten passiert ist ohnehin schon erschöpft und geben uns jetzt nur noch den Rest.
Der Bibeltext des heutigen Sonntags spricht da mitten hinein:
„Und nun stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt denen, die verzagten Herzens sind: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!“
Das ist genau das Gegenteil von Putzen und Hetzen und Machen und Tun. Das ist die Aufforderung: Lass einfach mal gut sein!
Komm zur Ruhe. Leg ab, was Deine Hände müde macht und Deine Knie zum Wanken bringt.
Der heutige Sonntag fordert uns auf, inne- und nach Gott Ausschau zu halten. Uns ist nicht damit geholfen, wenn wir uns in Vorbereitungen verlieren, erst in Hektik, später in Verzweiflung verfallen und dadurch völlig übersehen, dass Gott doch schon längst da ist.
Es geht im Advent doch nicht darum, darauf zu warten, dass einer kommt, der lange weg war. Gott war doch nicht das ganze Jahr weg und jetzt kommt er endlich wieder. Vielmehr geht es doch darum, sich der Gegenwart Gottes in unserem Leben neu bewusst zu werden. Das ist es, was wir an Weihnachten feiern: Das Gott in Jesus Mensch geworden und uns nahegekommen ist. Gott ist nicht weit weg. Er ist mitten unter uns. Im Alltag vergessen wir das hin und wieder, doch der Advent gibt uns die Chance, uns wieder daran zu erinnern. Uns neu zu fokussieren. Auf Gott und seine Botschaft. Nehmen wir uns also diese Zeit. Für uns und für Gott.
Sagen wir ihm, was uns in diesem Jahr erschöpft hat. Was hat unsere Hände müde gemacht? Was ist uns schwergefallen? Was haben wir gar nicht zu Ende bekommen?
Sagen wir ihm, wovon unsere Knie zittern. Was macht uns Angst? Wo sind wir verzweifelt und ratlos? Wovor möchten wir uns am liebsten verkriechen?
Kommen wir mit Gott ins Gespräch und erzählen ihm von unseren verzagten Herzen. Von unserer Kleingläubigkeit. Unseren Zweifeln und unserem immer wieder bröckelnden Vertrauen.
Wir hören einen Moment Musik und ich lade Sie und Euch ein, sich in dieser Zeit zu genau diesen Fragen Gedanken zu machen. Was macht unsere Hände müde, bringt unsere Knie ins Wanken und lässt unsere Herzen verzagt sein? Wer möchte, kann dazu hier vorn gern eine Kerze anzünden.
All das, was Ihnen und Euch gerade durch Kopf und Herz gegangen ist, sind Dinge, die zu uns gehören. Zu unserem letzten Jahr. Zu unserem Leben. Das alles lässt sich nicht wegputzen und ist auch mit Plätzchenduft nicht zu übertünchen. Egal wie perfekt die Gans zu den Feiertagen sein wird, unsere Sorgen und Probleme wird sie nicht lösen. Deswegen sollten wir uns in diesen Tag nicht in unserer Geschäftigkeit verlieren, sondern lieber versuchen, einen Gang zurückzuschalten und Ausschau zu halten nach Gott, der Mitten in unserem Chaos, in unserer Erschöpfung, unserem Zittern und unserer Angst bereits bei uns am Tisch sitzt und darauf wartet, dass wir ebenfalls Platz nehmen.
ER braucht keine zehn verschiedenen Sorten Plätzchen, keine blitzenden Fenster. Er braucht unser Herz. Das bereit ist, ihn zu empfangen.
Das ist Advent. Warten auf Gott, der eigentlich schon da ist. Dem wir aber in unserem Alltag oft viel zu wenig Raum geben. Machen wir also nicht dem Fehler und drängen ihn jetzt noch weiter hinaus. Sondern nehmen wir uns bewusst Zeit. Um Ordnung zu schaffen. Nicht in unseren Häusern und Wohnungen, sondern in unseren Herzen. Arbeiten wir auf, was in den letzten Wochen und Monaten liegen geblieben ist. Was uns belastet und stresst. Schaffen wir wieder mehr Platz für den, der allen Sturm in uns zur Ruhe bringen kann. Der unser Dunkel erhellt und in allem Chaos unser Ankerpunkt ist. Gott. Dessen Kommen und Bleiben in unserer Welt wir in wenigen Wochen feiern.
Diese Predigt hielt Prädikantin Jenny Gechert am 08.12.24