Evangelisch ist: Standpunkt haben!

Bald ist wieder Reformationstag – dieses Jahr zum 499. Mal. Doch warum feiern wir das eigentlich noch immer? Welche Bedeutung hat das, was 1517 mit der Reformation in Bewegung gekommen ist, für uns heute? Die Antwort auf diese Fragen hängt für mich ganz wesentlich damit zusammen, was für mich typisch evangelisch ist.
Für mich ist es eine wesentliche Errungenschaft der Reformation, dass die Menschen dazu angeregt wurden, sich mit Gottes Wort auseinanderzusetzen und selbst mit ihm in Kontakt zu treten. Dazu war die Übersetzung der Bibel in die Muttersprache der Menschen unverzichtbar. Denn typisch evangelisch ist für mich: Selbst zu denken und mutig nachzufragen; sich eine eigene Meinung über Glaube und Leben zu bilden und dafür einzutreten; den Mund aufzumachen, wo wir als Christen gefragt sind und nicht aus Bequemlichkeit oder Angst zu schweigen.
Das ist es auch, was unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden in ihrer Konfirmandenzeit lernen sollen. Deshalb schreiben sie am Ende der Konfirmationszeit ihr eigenes Glaubensbekenntnis und machen sich damit klar, was sie glauben und was sie mit anderen Christen zusammen bekennen wollen.
Darum geht’s: Eigenen Standpunkt haben
Denn es geht eben nicht darum, zu allem nur Ja und Amen zu sagen, sondern einen eigenen Standpunkt zu haben, um den Glauben zu ringen und eigene Erfahrungen mit Gott zu machen. Nur so kann Gottes Wort immer wieder neu und aktuell in unsere Lebenssituation hineinsprechen. Nur so können wir dem Auftrag Jesu gerecht werden, das Evangelium unverfälscht weiterzugeben und zu bezeugen.
Bei allem Ringen und Neudenken aber geht es zugleich nicht ohne einen festen Grund, auf dem wir stehen und der uns Halt gibt.
So ist es für mich eine große Errungenschaft der Reformation, die Gewissheit zu betonen, die Jesus Christus uns gibt: Die Gewissheit, dass Gott uns allein aus Gnade und Liebe zu seinen Kindern macht und wir ihm vertrauen können. Die Gewissheit, dass es nichts gibt, was uns von Gottes Liebe trennen könnte. Die Gewissheit, dass es keine Bedingung gibt, die wir erfüllen müssen, um von Gott geliebt zu sein.
Denn Glaube ist ein Geschenk Gottes an uns. Wenn wir Gott das glauben und an dieser Gewissheit festhalten, dann kann uns nichts schrecken oder umwerfen.
Paulus sagt: Weder Mächte noch Gewalten
Paulus hat dies im Brief an die Römer einmal sehr treffend formuliert: „Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Röm. 8,37ff.)
Nichts kann uns von der Liebe Gottes in Jesus Christus trennen. Diese Erkenntnis gibt uns auch Kraft für die Zeiten, in denen einen das Leben vor große Herausforderungen stellt.
Denn in Jesus Christus geht Gott auch die steinigen Wege mit und hilft uns, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen zu meistern. Dieses Wissen und Vertrauen trägt uns und hilft uns auch, die falschen von den richtigen Verheißungen zu unterscheiden und die echte von der unechten Gewissheit. Dieses starke Fundament befähigt uns, unseren Alltag immer wieder neu zu hinterfragen und für uns selbst und für andere aktiv zu werden. Typisch evangelisch eben.
So wünsche ich uns für die kommenden Monate und das diesjährige Reformationsfest genau das: dass wir uns dessen bewusst werden, was uns in unserem Leben trägt.
Dass wir es immer wieder schaffen, als Christen neue Akzente in unserem Leben und unserer Welt zu setzen und den Mut haben, falschen Wahrheiten und Gewissheiten zu widersprechen.
Ihre Pfarrerin Annekathrin Bieling