Kein Kadavergehorsam, keine Garantie

Alles stehen und liegen lassen. Dann einfach mal drauflosgehen. Manche sagen, so kann man Vertrauen üben. Das klingt dann so: „Nehmen Sie sich mindestens zwei Stunden Zeit. Legen Sie Ihre Uhr ab, lassen Sie Ihr Handy daheim und machen Sie sich auf den Weg. Nehmen Sie sich keine feste Route vor, sondern lassen Sie sich einfach treiben. Wie fühlt es sich an, einmal keinen Plan zu haben? Spüren Sie die Freiheit – oder auch die Unsi-cherheit, wohin es gehen soll? Wie wäre das – nur aus dem Vertrauen zu leben?“ heißt es auf der Homepage kirchenjahr-evangelisch.de zum 5. Sonntag nach Trinitatis, der in diesem Jahr auf den 12. Juli fällt.

Einfach mal losgehen!
Einfach losgehen und vertrauen, dass man irgendwo gut ankommt. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal so losgezogen bin. Ungewöhnlich, aber auch spannend!
Abraham und Sarah haben das gemacht – nur in ganz anderen Maßstäben. Vor über 3.000 Jahren spricht Gott die Erzeltern des Volkes Israel an: Brecht auf ins Unbekannte! Denn ich gehe mit. Klar ist aber, sie müssen Haus, Hof und Großfamilie hier zurücklassen.
Generationen später folgen ihre Nachkommen demselben Gott in die Wüste. 40 Jahre lang durchwandern die Israeliten die Einöde, weil Gott ihnen das ‚gelobte Land‘ verspricht.

Im Hain von Mamre bewirtet Abraham Gott in Person dreier Männer. (Moaik in der Basilika San Vitale, Ravenna, 6. Jhdt.).

Kein Kadavergehorsam
Die Frage nach dem Gottvertrauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Die Menschen suchen Gott – aber nicht alle finden Vertrauen in ihn. Sie können dann nichts dafür. Und manchmal macht Gott es den Menschen auch sehr schwer.
Abrahams Vertrauen selbst wird auf die Probe gestellt, als Gott ihm befiehlt, seinen eigenen Sohn auf dem Altar zu opfern. Abraham geht den langen Weg zum Gottesberg, er baut den Opferaltar, zückt das Schlachtmesser – erst da, Sekundenbruchteile vor dem Kindsmord, ruft Gott ihn zurück.
Für spätere Generationen war Abraham ein Vorbild. Denn er war der Urahn des Volkes Israel. Das war auch so, als im 6. Jahrhundert vor Christus alle großen Städte in Israel im Krieg zerstört wurden. Ihre Bewohner wurden umgebracht oder verschleppt. Im Angesicht von Mord und Totschlag, der die eigene Familie traf, war es eine große Versuchung, dem Glauben an den Gott Israels abzusagen. Aber die Geschichte von der ‚Opferung Isaaks‘ zeigte, dass auch Abraham solche Nöte durchgestanden hatte. Und am Ende zeigte sich: Gott will keine Menschenopfer. Er will keinen Kadavergehorsam.

Vertrauen hat Vergangenheit und Zukunft
Gottvertrauen ist kein blinder Gehorsam. Vertrauen gründet zum einen in der Vergangenheit: Menschen lernen Vertrauen.
An Kindern kann man das sehen: Urvertrauen erlernen sie in einer Umgebung, die die Kinder beschützt und liebt. Dieses Grundvertrauen ist überlebenswichtig. Ohne Vertrauen, dass die Welt ein Ort ist, wo ich leben kann, kann ich keinen Schritt gehen.
Darum sind die Texte der Bibel so wichtig für uns Christen: Sie geben die Erfahrungen von Menschen wieder, in denen ihr – und unser – Gottvertrauen wurzelt. Weil Gott gezeigt hat, dass er vertrauenswürdig ist, können wir mit ihm in die Zukunft gehen. Aus Vertrautheit entsteht Vertrauen.
Und so gibt Vertrauen Hoffnung in das, was kommt: Sich getragen zu wissen, trägt über die Gegenwart hinaus. Ich bin gestärkt, mit anderen die Zukunft zu gestalten.
So ist das bei Abraham. Der Urahn Israels hofft darauf, dass er im Unbekannten findet, was Gott verspricht: Ein Land, in dem er und seine Nachkommen gut leben können. Unter den Augen Gottes.

Gott gibt keine Garantie
Dabei ist persönliches Vertrauen nicht zu verwechseln mit garantierter Sicherheit. Eine Garantie zementiert die Zukunft ein.
Der Vater Jesu Christi aber will ein gesprächs-offenes Gegenüber sein, der Zukunft gemeinsam mit den Menschen gestaltet. Er will mit der ganzen Welt den Weg finden in das, was Jesus das ‚Reich Gottes‘ nannte – also ein Ort und ein Zustand, in dem Menschen leben können, wie Gott es sich schon immer für die Welt erträumt hat.
Aber der Weg dahin ist nicht festgelegt. Denn viele Wege führen – ins Reich Gottes.
Abraham sieht das Land, das ihm versprochen wurde – und muss es doch mehrmals verlassen, weil ihm dort Hungersnot droht. Doch immer wieder kommt er dahin zurück. Am Ende wird er dort begraben.
Seine Nachkommen, einmal geflohen aus der Sklaverei in Ägypten, wandern 40 Jahre lang kreuz und quer durch die Wüste – eine Weg-strecke, die man sonst in höchstens sechs Wochen zurücklegen kann.
Gott verpflichtet sich dem Ziel, aber nicht der Wegstrecke.

Ist unser Lebensglück das Ziel der Welt?
Wer darum Gottvertrauen mit absoluter Sicherheit gleichsetzt, muss an Gott verzweifeln. Glaube, der solche Sicherheit im Leben anstrebt, erweist sich letztendlich als Aberglaube. Denn solcher Sicherheits-Glaube verrät das Vertrauen, das es hoffnungsvoll als eigene Aufgabe ansieht, zukunftsorientiert zu handeln – und den Weg zum Ziel mitzugestalten. Ganz so wie ein kleines Kind nur Ansprüche stellt, aber den eigenen Anteil am Zustandekommen verneint.
Das Streben nach Sicherheit endet dann in Verzweiflung, weil es seinen Grund nicht in einem lebendigen Gott sucht – sondern ein ehernes Lebensprinzip erzwingen will, das die eigenen Lebenswünsche befriedigt.
Vielleicht ist die Welt aber ja gar nicht dafür da, uns zufrieden zu stellen? Was würde das mit unseren Lebensplänen machen?

Verhandeln mit Gott – das geht!
Verhandeln jedoch kann man mit Gott sehr wohl – das erlebt Abraham auch. Im Hain von Mamre tritt Gott in Gestalt dreier Männer in sein Zelt. Sie sind auf dem Weg nach Sodom und Gomorrha – zwei Städte, die Gott da-raufhin beurteilen will, ob sie so schlecht sind wie ihr Ruf. Aber wie schlecht muss eine Stadt sein, damit Gott den Feuersturm schickt?
Weil sein Neffe Lot dort lebt und um der Menschen willen feilscht Abraham mit Gott – nicht 50 Gerechte, nicht 40 Gerechte, nicht 30 Gerechte, nicht 20 Gerechte reichen Gott. Nein, Abraham handelt ihn runter auf zehn. Wenn Gott nur zehn gerechte Männer in So-dom findet, soll die Stadt nicht untergehen.
Manchmal kann man mit Gott handeln. Aber man kann ihn niemals zwingen. Aus Erfahrung können die Menschen der Bibel ihm vertrauen, dass er sich auf ein gemeinsames Ziel ver-pflichtet hat.
Die Nachkommen Abrahams gibt es übrigens heute, 3.000 Jahre später, immer noch. 15 Millionen Juden leben auf der Welt. Am Anfang des gemeinsamen Weges hat Gott Abraham versprochen: Deine Nachkommen sollen zahlreicher sein als die Sterne, die du am Nachthimmel zählen kannst. Bis jetzt hat Gott dieses Versprechen eingehalten.

Stefan Heinemann