Im Krieg ein sperriger Satz

„Suche Frieden und jage ihm nach.“ (Psalm 34,15)
Wie sperrig dieser Satz aus der Bibel in Kriegsgebieten klingt!

Afghanistan, April 2012, Feldlazarett
Als Militärseelsorger betreute ich das deutsche Feldlazarett in Mazar-e Sharif. Eines Tages wurde ich an das Bett eines kleinen afghanischen Mädchens gerufen. Sie und ihr Vater waren Opfer eines Anschlags geworden. Meine Gedanken waren: „Was kann sie dafür? Mit welchem Recht muss sie für diesen Irr- und Unsinn verblendeter Menschen bezahlen?“
Zudem wurde sie von keinem ihrer Angehörigen besucht, weil sie ein kriegsversehrtes Mädchen war. Nichts mehr wert. Das hat das medizinische Personal und mich sehr beschäftigt. Zu einfach war die Erklärung, dass wir im Kriegsgebiet waren. Es passte nicht mit unserer Welt- und Würdevorstellung zusammen.

Afghanistan, Juni 2012, Überlandfahrt
Mein Unterstützungssoldat und ich waren in einem Konvoi militärischer Fahrzeuge unterwegs vom Hauptlager Mazar-e Sharif zu einem deutschen Ausbildungscamp in Hazrat-e Sultan. Die Soldaten in diesem Camp sollten afghanische Soldaten ausbilden, um so einen Beitrag zur Friedensstabilisierung zu leisten. Der Überlandweg führte durch das Marmal-Gebirge. In einer Schlucht blieb unser Fahrzeug mit einem Getriebeschaden liegen. Ein ideales Ziel, um abgeschossen zu werden!
Es brauchte nur eine kurze Zeit, um unser Fahrzeug mit einer Abschleppstange an einem anderen Fahrzeug zu montieren und weiter zu fahren. Während dieser kurzen Zeit hatten wir einerseits Angst: Der Puls schlug mir so heftig wie ich es selten erlebt habe. Andrerseits blieben wir ruhig, weil jeder wusste, was er in dieser Situation zu tun hatte. Mir schossen viele Gedanken durch den Kopf: Meine Frau, meine Familie, und: „So ein Sch…, . Der sonnige Tag ist zu schön, um zu sterben. Und: Was nützen mir jetzt die Worte zum Frieden? Was nützen die Worte von Menschenwürde, wenn der Gegner eben diese meine Würde nicht beachtet?“
Noch nie empfand ich diese Aussagen so widersprüchlich und wenig tröstend. Ratschläge aus der Heimat, Kaffee oder Tee zu trinken mit dem Feind, sind in dieser Situation nicht hilfreich. Tatsächlich sind es zwei konträre Lebensumstände, die nicht übereinzubringen sind. So haben mich die Aussagen über Frieden aus der Heimat geärgert, entstammen sie doch aus einem friedlichen Kontext. Und sie ärgern mich immer noch, denn sie verkennen den Kriegskontext, in dem sich Soldaten auf Beschluss des deutschen Parlaments befinden.

Al Azraq, Jordanien, Dezember 2017
Während meines zehnwöchigen Einsatzes betreute ich Soldaten, die in Jordanien mit Aufklärungsflugzeugen und dem Betankungsflugzeug zur Unterstützung im Kampf gegen den terroristischen IS stationiert waren. Zusammen mit der Sanität veranstalteten wir eine Weihnachtstombola für einen Kindergarten und eine Schule jordanischer Kinder auf dem Luftwaffenstützpunkt. Von dem Erlös besorgte ich nach Rücksprachen mit der muslimischen Schulleiterin Schul- und Spielartikel.
In einem unserer Gespräche sagte sie: „Ich weiß gar nicht, warum wir Menschen uns bekriegen. Ich weiß auch nicht, warum Menschen die Religion für ihre Vorstellungen missbrauchen und sie so verblendet sind. Wir können uns doch als eine große Menschenfamilie betrachten, die in Frieden zusammenleben kann. Das sagt doch meine Religion – und Ihre, Herr Pastor, doch auch.“
Wie wohltuend ihre ernsten Worte waren. Und wie gut das zu hören auf dem angespannten Hintergrund hier in Deutschland.

„Suche den Frieden und jage ihm nach!“ Das ist die Aufforderung, bevor die Wurzel des Terrors und des Krieges zu sprießen beginnt. Jedem Soldaten, den ich spreche, steht dieser Satz vor Augen.
Ich weiß aber auch, dass wir in einer noch nicht erlösten Welt leben, in der Frieden und Freiheit durch das Böse bedroht werden. Diese Spannung muss ich, muss jeder Soldat aushalten. Ich will ihm helfen, diese zu tragen in Wertschätzung seines Dienstes. Denn im Ernstfall ist er es, der sein Leben für mich einsetzen würde.

Bis 2010 war Claus-Jörg Richter Pfarrer in Hennef. Nach drei Jahren als Standortpfarrer in Diez leitet der gebürtige Hamburger nun seit mehr als fünf Jahren das Evangelische Militärpfarramt in Köln I. Er ist Seelsorger für Soldaten in drei Kasernen und im Bundessprachenamt.

Zu Krieg und Frieden hält Militärdekan Claus-Jörg Richter eine Gastpredigt in der Hennefer Christuskirche im 11 Uhr-Gottesdienst am Sonntag 17. März 2019.