Als afrikanische Christin in Hennef

Janefrances Anioke studiert Ökumenische Theologie an der Universität Bonn. Im Rahmen ihres Studiums absolvierte sie ein dreimonatiges Gemeindepraktikum in unserer Kirchengemeinde. In der Zeit von Mitte Juli bis Mitte Oktober begleitete sie Pfarrerin Annekathrin Bieling bei ihrer Arbeit. Über ihre Erfahrungen als afrikanische Christin mit deutschem Kirchenalltag berichtet sie hier.

a. Was ich hier in Deutschland vermisse
In Nigeria bin ich in einer Kultur aufgewachsen, in der man beim Gottesdienst temperamentvoll singt, sich bewegt, klatscht und sogar tanzt. Als ich vor drei Jahren nach Deutschland kam, war mein erster Gottesdienstbesuch darum enttäuschend. Ich wusste schon im Voraus, dass ich die Sprache des Gottesdienstes – Deutsch – nicht verstehen würde. Aber ich dachte, dass ich wenigstens an dem religiösen Gefühl teilhaben könnte, wenn ich Gesten und Aktivitäten mitmache, wenn ich mitsinge und mitbete. Es ist mir nicht gelungen. Schon das Eingangslied klang für meine nigerianischen Ohren wie ein Beerdigungslied, weil die musikalische Kultur in Deutschland so anders ist als in meiner Heimat. Jetzt, da ich die deutsche Sprache besser verstehe, weiß ich, dass der Titel des Liedes lautet: „Gott ruft sein Volk zusammen“.
Der Text spricht mich als Afrikanerin in Deutschland sehr an – ganz besonders mit dem Akzent auf der Einheit und Gleichheit aller Christen und aller Menschen vor Gott. Aber der Klang war für mich damals wie ein Trauerlied. Es war eben nicht der temperamentvolle, lebendige Musikklang, den ich aus Gottesdiensten in Nigeria kannte.

Eine zweite Überraschung war für mich die Zahl der Teilnehmer an den Beerdigungen, die ich als Praktikantin in Hennef miterlebt habe. Beerdigungen sehen hier völlig anders aus als bei uns. Wenn eine Erwachsene bei uns stirbt (ich komme aus dem Igbo Stamm in Südost Nigeria), ist es eine Sache des ganzen Dorfes, in der diese Person gelebt hatte. Jeder ist irgendwie beteiligt, sei es bei der Trauerprozession, bei der Unterstützung der Angehörigen, beim Trost spenden, bei der Vorbereitung der Beerdigung oder in einer anderen Weise.
Uns Afrikanern ist es in jeder Lebenssituation wichtig, dass unser Leben hier auf der Erde ein Fest sei. Wenn ein Kind geboren wird, wird es gefeiert. Wenn das Kind erwachsen wird, wird es gefeiert. Wenn eine junge Erwachsene heiratet, wird es groß gefeiert und wenn diese Person stirbt, wird es am größten gefeiert. Wir glauben daran, dass das ganze menschliche Leben hier auf der Erde ein Fest ist. Deshalb ist so eine Beerdigung bei uns wie ein Dorffest. In diesem Fest und durch die Größe der Feier, wird gezeigt wie bedeutend und wie wichtig die Verstorbene ist.

Alle, die die Verstorbene im Leben gekannt haben, müssen ihr die letzte Ehre erweisen. Aber auch diejenigen, die die Verstorbene nicht kannten, aber vielleicht die Angehörigen oder Verwandten und Freunde der Verstorbenen kennen, kommen aus Wertschätzung für diese zur Beerdigung. Im Endeffekt kommen auch zu kleinen Beerdigungen Hunderte von Menschen. Es wird groß gekocht. Kühe und Ziegen werden für ein großes Festessen geschlachtet. Verschiedene Tanzgruppen treten auf und es wird viel erzählt und gesungen inmitten der Trauer. Die Festlichkeit reduziert auch die Trauer und hilft den stark Betroffenen nach vorne zu schauen.  Eine Beerdigung mit dreißig oder vierzig Menschen unter den Igbo Leute existiert nicht. Es geht nicht darum – wie viele Leute vermuten – , dass die Afrikaner viel zu viel Zeit für sich haben, um alles machen zu können, was sie wollen. Es geht vielmehr darum, dass die Afrikaner ein Weltverständnis haben, das sehr stark auf Gemeinschaft und Miteinander ausgerichtet ist. Das Leben findet seinen Sinn und seine Bedeutung nur in der Gemeinschaft mit den Mitmenschen und es muss festlich sein.

b. Was ich von Deutschland mit nach Hause nehmen möchte
Ich beneide die Deutschen um ihre Pünktlichkeit. Pünktlichkeit ist nicht nur eine gesellschaftliche Regel hier in Deutschland, sondern ich sehe sie auch als eine christliche Tugend. Jesus sagt uns nämlich in den Evangelien: ‚Seid wachsam und steht immer bereit, weil der Herr in einer Stunde kommt, in der ihr es nicht erwartet (Mt. 24, 42-44). Diese Aussage Jesu ist meines Erachtens nach auch ein Aufruf immer pünktlich zu sein. Pünktlichkeit gehört zur Achtsamkeit und zur Bereitschaft.

In Nigeria ist es leider normal, wenn christliche Veranstaltungen verspätet anfangen. Wenn sie einmal pünktlich beginnen, sind es Ausnahmen. So war es auch bei einem Priester, der für seine Unpünktlichkeit bekannt war: als er an einem Tag einmal pünktlich zum Sonntagsgottesdienst kam und diesen pünktlich begann und beendete, waren viele Kirchenbesucher noch nicht da.  Als die wenigen Kirchenbesucher – die an diesem Tag zum Gottesdienst pünktlich waren – bereits wieder auf dem Rückweg nach Hause waren, trafen sie unterwegs einige, die noch auf dem Weg zur Kirche waren. Es war für diese Leute, die noch auf dem Weg zum Gottesdienst waren, eine große Überraschung und auch eine Beleidigung herauszufinden, dass der Gottesdienst pünktlich und ohne sie stattgefunden hatte. Diese Menschen beschwerten sich folglich beim Vorgesetzten des Priesters, dass er an diesem Tag für Unordnung gesorgt hatte. So kann Pünktlichkeit bei uns in Nigeria noch Probleme auslösen. Aber ehrlich und genau hingesehen, ist Unpünktlichkeit der Grund für das viele gesellschaftliche Chaos, das wir haben. Ich hoffe nur, dass wir ein Stück von den Deutschen lernen können und ich werde bei mir selber anfangen. Ich werde versuchen, meine Termine immer pünktlich zu beginnen und sie pünktlich zu beenden.

Andere tolle, vorbildliche Eigenschaften, die ich von Deutschland gerne mit nach Nigeria nehmen möchte, lassen sich in der Sorgfalt und dem Engagement zusammenfassen, mit denen Veranstaltungen und Gottesdienste inhaltlich vorbereitet werden. Dies ist mir in meinem Praktikum in Hennef besonders deutlich geworden. Diese richtig gute Vorbereitung von Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen, die ich hier erlebt habe, sind für mich beneidenswert und lohnen sich.
So ist die Ordnung, die ich hier gelernt habe, für mich eine Kontrolle für meine natürliche afrikanische Spontaneität. Der Sinn für Schönheit und Sauberkeit der Deutschen, den man unter anderem auch an dem liebevollen Blumenschmuck in den Gotteshäusern sieht, ist für mich die Krönung der guten Erfahrungen, die ich hier in Deutschland gemacht habe.

Janefrances Anioke